Projektwerkstatt

HOFFUNG AUF MEHR DEMOKRATIE: WENN ES NICHT HILFT ... DIE DOSIS ERHÖHEN!

Marx(ist*innen) zur Demokratie


1. Die bürgerliche Elite zu ihrem Liebling "Demokratie"
2. Marx(ist*innen) zur Demokratie
3. Besser wählen ... offizielle Erweiterungen der Demokratie
4. Basisdemokratie
5. Radikaldemokratie
6. Weitere Konzepte zur Demokratisierung der Gesellschaft
7. Rettet die Demokratie
8. Umfassende Demokratie?
9. Links

Aus Lotter, K./Meiners, R./Treptow, E. (2006): "Das Marx-Engels-Lexikon", Papyrossa Verlag Köln zum Stichwort "Demokratie" (S. 73 ff.)

Zusammenfassung der Autoren:
Die Form der Demokratie verändert sich mit der Entwicklung der Klassenherrschaft. Die antiken Demokratien waren nicht mit der Vorstellung der Gleichheit aller Menschen verknüpft (1). Die bürgerliche Demokratie kennt nur die formale Gleichheit vor dem Gesetz (2). Sie entspricht der formalen Gleichheit und Freiheit von Käufer und Verkäufer innerhalb der Zirkulationssphäre (und hat die Ungleichheit und Unfreiheit in der Produktionssphäre zur Voraussetzung) (3). Die bürgerliche Demokratie hat in allen zivilisierten Ländern die politische Herrschaft des Proletariats zur notwendigen Folge (4). Der erste Schritt in der Arbeiterrevolution ist die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Masse, die Erkämpfung der Demokratie (5). Sie dient als Mittel zur Durchsetzung von Maßregeln, die direkt das Privateigentum angreifen (6). War die Demokratie bisher an bestimmte Formen des ) Staats gebunden, so wird sie mit der ---> Diktatur des Proletariats zur wirklichen Volksherrschaft (7). Der kommunistischen Partei geht es letztlich um die Überwindung des ganzen Staats, also auch der Demokratie (8).

(1) Die Vorstellung, daß die Gleichheit der Ausdruck der Gerechtigkeit, das Prinzip der vollkommnen politischen oder sozialen Anordnung, ist ganz historisch entstanden. Bei den naturwüchsigen Gemeinwesen existierte sie nicht, oder doch nur sehr beschränkt, für das vollberechtigte Mitglied eines einzelnen Gemeinwesens und war behaftet mit Sklaverei. Dito in der antiken Demokratie. Die Gleichheit aller Menschen, Griechen, Römer und Barbaren, Freier und Sklaven, Staatsangehöriger und Fremder, Bürger und Schutzverwandter etc., war für den antiken Kopf nicht nur verrückt, sondern verbrecherisch, und ihr erster Anfang wurde im Christentum konsequent verfolgt. (Materialien zum Anti-Dühring, 1876/78, MEW 20, 579 f)

(2) Wir wissen jetzt, daß dies Reich der Vernunft weiter nichts war, als das idealisierte Reich der Bourgeoisie; daß die ewige Gerechtigkeit ihre Verwirklichung fand in der Bourgeoisjustiz; daß die Gleichheit hinauslief auf die bürgerliche Gleichheit vor dem Gesetz; daß als eins der wesentlichsten Menschenrechte proklamiert wurde - das bürgerliche Eigentum; und daß der Vernunftstaat, der Rousseausche Gesellschaftsvertrag ins Leben trat und nur ins Leben treten konnte als bürgerliche, demokratische Republik. (Anti-Dühring, 1876/78, MEW 20, 17; vgl. MEW 1, 481; MEW 2,579)

(3) Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. [ ... ] Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. (Das Kapital, MEW 23, 189 f.; vgl. Grundrisse 81 f., 160; MEW 19, 20 f.)

(4) Die Demokratie hat in allen zivilisierten Ländern die politische Herrschaft des Proletariats zur notwendigen Folge, und die politische Herrschaft des Proletariats ist die erste Voraussetzung aller kommunistischen Maßregeln. Solange die Demokratie noch nicht erkämpft ist, solange kämpfen Kommunisten und Demokraten also zusammen, solange sind die Interessen der Demokraten zugleich die der Kommunisten. (Die Kommunisten und Karl Heinzen, 1847, MEW 4, 317; vgl. ebd., 378 f., 392; MEW 1, 548, 592; MEW 22, 235, 280)

(5) Wir sahen [ ... ], daß der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Masse, die Erkämpfung der Demokratie ist. - Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren. (Manifest der Kommunistischen Partei, 1847/48, MEW 4,481; vgl. MEW 7,43; MEW 19,278)

(6) Die Demokratie würde dem Proletariat ganz nutzlos sein, wenn sie nicht sofort als Mittel zur Durchsetzung weiterer, direkt das Privateigentum angreifender und die Existenz des Proletariats sicherstellender Maßregeln benutzt würde. (Grundsätze des Kommunismus, 1847, MEW 4, 373; vgl. ebd., 481; MEW 5, 3 ff.; MEW 36,128)

(7a) Die Demokratie, das ist heutZutage der Kommunismus. [ ... ] Die Demokratie ist proletarisches Prinzip, Prinzip der Massen geworden. (Das Fest der Nationen in London, 1845, MEW 2, 613)

(7b) Die Kommune war eine Revolution gegen den Staat selbst, gegen diese übernatürliche Fehlgeburt der Gesellschaft; sie war eine Rücknahme des eignen gesellschaftlichen Lebens des Volkes durch das Volk und für das Volk. (Erster Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich", 1871, MEW 17, 541)

(8) Man wird bemerken, daß in allen diesen Aufsätzen und namentlich in diesem letztern ich mich durchweg nicht einen Sozialdemokraten nenne, sondern einen Kommunisten. Dies, weil damals in verschiednen Ländern Leute sich Sozialdemokraten nannten, die keineswegs die Übernahme sämtlicher Produktionsmittel durch die Gesellschaft auf ihre Fahne geschrieben hatten. [ ... ] Für Marx und mich war es daher rein unmöglich, zur Bezeichnung unseres speziellen Standpunkts einen Ausdruck von solcher Dehnbarkeit zu wählen. Heute ist das anders, und so mag das Wort passieren, so unpassend es bleibt für eine Partei, deren Ökonomisches Programm nicht bloß allgemein sozialistisch, sondern direkt kommunistisch, und deren politisches letztes Endziel die Überwindung des ganzen Staates, also auch der Demokratie ist. (Vorwort zur Broschüre "Internationales aus dem 'Volksstaat' (1871-75)", 1894, MEW 22, 417 f)

  • EB 1, 534 f.: Abstrakte Gleichheit der Menschen im rohen Kommunismus (vgl. MEW 27,456).
  • MEW 1, 230 ff.: Demokratie im Gegensatz zu Hegels Staatsbegriff.
  • MEW 4, 312 f.: Aufgabe der demokratischen Presse.
  • MEW 6, 217: Die demokratische Republik als beste Staatsform für Kleinbürger, Bauern und Proletarier.
  • Grundrisse, 377: Despotische oder demokratische Form des orientalischen Gemeinwesens.
  • MEW 19, 29 ff.: Lassalles politische Forderungen weisen nicht über die bürgerliche Demokratie hinaus.
  • MEW 20, 95 ff.: Antike, christliche, bürgerliche und proletarische Vorstellungen über die Gleichheit der Menschen (vgl. ebd., 579 ff.).
  • MEW 2 0, 158 f.: Sprengung des Militarismus durch die sozialistische Demokratie.
  • MEW 21, 102 ff.: Alte, naturwüchsige, militärische Demokratie der griechischen Stämme.
  • MEW 21, 215: Demokratische Struktur des "Bundes der Kommunisten".
  • MEW 36, 252 f.: "Reine Demokratie" als Sammelplatz der Gesamtreaktion.

Marxisten über Demokratie

Volks-Diktatur?
Aus einem Positionspapier der internationalen sozialistischen linken (isl)
Sozialistische Demokratie für eine menschenwürdige Gesellschaft
Demokratie heißt "Herrschaft des Volkes". Wir wollen indes eine klassenlose Gesellschaft und die Überwindung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen. Das kann allerdings nur demokratisch erreicht werden, mit Hilfe von Mehrheiten für eine sozialistische Umwälzung, mit der sich die große Mehrheit derjenigen, die nicht von der Arbeit anderer leben, gegen die kleine Minderheit der großen Kapitaleigentümer durchsetzt. Eben dies wurde ideengeschichtlich "Diktatur des Proletariats" genannt. ...
Wir sind für die Rechenschaftspflicht von Abgeordneten gegenüber ihrer Wählerschaft und für ihre jederzeitige Abwählbarkeit. Wir sind für vielfältige demokratische Kontrollmechanismen, die eine Verselbständigung politischer Macht in den Händen Weniger unterbinden. Unter solchen Bedingungen bedeutet es mehr Demokratie und nicht weniger, wenn die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger nicht nur für die Verabschiedung, sondern auch für die Durchführung der Gesetze verantwortlich sind.
Wir sind gegen jegliche Willkürherrschaft und daher für eine unabhängige Justiz, die positivem geschriebenen Gesetz verpflichtet ist. Sozialistische Demokratie muss allen Bürgerinnen und Bürgern vollkommene Rechtssicherheit garantieren. Dem widerspricht nicht, dass auch Richterinnen und Richter gewählt werden und abwählbar sein müssen, wenn dies auch nach festgelegten Perioden von einigen Jahren erfolgen sollte, um sie dem Einfluss momentaner Stimmungen zu entziehen. Schließlich fallen die Richter auch heute nicht vom Himmel – "gewählt" werden sie allerdings nur von einem sehr beschränkten Personenkreis. ...
Die Macht des Kapitals muss gebrochen werden, damit alle wichtigen politischen Fragen tatsächlich Mehrheitsentscheidungen unterworfen werden können. ...
Alle politische "Gewalt", heißt es im Grundgesetz, "geht vom Volk aus". Die sozialistische Revolution hat nur insofern etwas mit "Gewalt" zu tun, als sie die "Gewalt" – nämlich die politische Macht – tatsächlich in die Hände der großen Bevölkerungsmehrheit legt. Der Inhalt einer sozialistischen Revolution hat nichts mit "Gewalt" im landläufigen Sinne zu tun, auch wenn sie sich gegen Gewalt wehren muss.


Aus einem Interview mit Ellen Maiksins Wood, ehemalige Herausgeber der maxistischen US-Zeitschrift "Monthly Review", in: Junge Welt, 29.1.2011 (Beilage S. 1)
Was ist "wahre Demokratie"? Nehem wir zuerst nur die wörtliche Bedeutung von "Demokratie". "Demos" meint in der griechischen Antike das Volk, die Bevölkerung - und nicht nur in einem abstrakt politischen Sinne, sondern als soziale Kategorie: die einfachen Menschen oder gar die Armen. "Kratos" bedeutet Stärke, Macht, Regierung. Also bedeutet "demokratia" nichts mehr oder weniger als die Macht des Volkes, oder gar die Macht der einfachen Menschen oder der Armen. Ein Historiker der Antike hat sogar behauptet, dass es in der Originalbedeutung - die wahrscheinlich von Gegnern der "demokratia" herrührt - etwas Vergleichbares bedeutet wie die Diktatur des Proletariats. Den Feinden der Demokratie war also, mit anderen Worten, die Macht des Volkes eine auf den Kopft gestellte Klassenherrschaft, die Macht der Bevölkerung über die Eigentümerklasse oder die Unterwerfung der Elite unter die Masse. ...
"Demokratie" ist durch einen langen Prozess der Neutralisierung und Einhegung gegangen, so dass der Begriff, der den herrschenden Klassen einstmals als schmutziges Wort galt, ihnen im heutigen politischen Vokabular als höchstes Wort des Lobes gilt - heute behaupten alle von sich, Demokraten zu sein.


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