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Ö-PUNKTE 1/2001 ("FRÜHJAHR")

Miersch & Maxeiner

Ergänzung zu den Texten in der Rubrik "Perspektiven" der Ö-Punkte 1/2001 (Mail von Norbert Suchanek, Ö-Punkte-Redaktion "Umwelt & Entwicklung":

Hallo Oe-Punkte.

zu Miersch und Maxeiner habe ich auch was zu sagen. Es wird in meinem neuen Buch "(Abschied vom) Mythos Wildnis", das demnaechst im Schmetterlingeverlag erscheinen wird nachzulesen sein. Hier im Anschluss ein kurzer Auszug. Das "Wildnis-Buch" kann im Prinzip als eine Art fortsetzung zu meinem vorhergehenden Werk "Ausgebucht - Zivilisationsfluch Tourismus" vom Schmetterlingverlag gesehen werden.
viele Gruesse
norbert

Auszug aus dem Buch: Mythos Wildnis
...
Waehrend deutsche Natur- oder besser gesagt
Tierschuetzer wie Bernhard Grzimek weltweit bei der Verbreitung dieser amerikanischen Wildnis-Ideologie mithalfen, schlug sie auf deutschem Grund und Boden relativ spaet Wurzeln. Erst 1970 wurde der erste bundesdeutsche Nationalpark im Bayerischen Wald an der Grenze zu Tschechien gegruendet. Klar dass sein einstiger Direktor und Generalsekretaer der Foederation der Natur- und Nationalparke Europas (EUROPARC), Hans Biebelriether, die US-amerikanische Nationalparkstrategie leidenschaftlich und kritiklos Befuerwortet. Beispielsweise zeigte sich Biebelriether 1994 während einer von Texas Instruments veranstalteten Vortragsreihe lediglich traurig darueber, dass Deutschland auf seinen ersten Nationalpark hat so lange warten muessen. "Warum war man in den USA so viel schneller", fragte er rhetorisch und schickte die Antwort hinterher: "Einer der Hauptgruende dafuer war wohl, dass das Amerika der Gruenderzeit keine Kulturlandschaften, sondern ausschliesslich Naturlandschaften von ueberwaeltigender Schoenheitbesass. Die fruehen Siedler begegneten urspruenglicher Wildnis wie es sie in Mitteleuropa laengst nicht mehr gab."

Biebelriether wiederholte damit den falschen kolonialistischen Mythos Wildnis, wonach Nordamerika vor seiner Besiedlung durch die "Nachfahren" von Kolumbus ein leerer, unbewohnter Landstrich gewesen sei. Die Existenz Hunderter von Indianervoelkern, die waehrend der "Gruenderzeit" von weissen Siedlern und Soldaten aus ihren Lebensräumen und Kulturlandschaften vertrieben wurden, war Biebelriether nicht einen einzigen Satz, nicht eine einzige Anmerkung wert.
zitat "Doch ohne die Devisen der Feriengäste wäre Amboseli eine Agrarregion, in der Rinderherden grasen und Maisäcker gedeihen: Kein Platz fuer wilde Tiere...Mit Grzimeks Trick, konnte die Serengeti weiterleben." Dirk Maxeiner und Michael Miersch, 1998

Dieselbe Einstellung wie Biebelriether haben selbst moderne, sogenannte OEko-Realisten wie Dirk Maxeiner und Michael Miersch. Die beiden "Umweltschutz-Autoren" loben beispielsweise den deutschen Vorreiter der auf Vertreibung der Ureinwohner basierenden, unmenschlichen Tier- und Naturschutzpolitik in Afrika, Bernhard Grzimek, fuer seinen Einsatz um die Rettung der Serengeti und fuer seine Weitsicht. In ihrem - nebenbei bemerkt vor Fehlern und Halbwahrheiten strotzenden - 1998 aufgelegten Lexikon der OEko-Irrtuemer schreiben die Natur-Autoren: "Einer hatte das oekologische Potential im Tourismus schon lange vorhergesehen: Bernhard Grzimek. In seiner Sendung "Ein Platz fuer Tiere| verkuendete der legendäre Fernsehzoologe vor ueber dreissig Jahren, es gebe schon bald organisierte Gruppenreisen zu den Wildreservaten Ostafrikas. Grzimek hatte die Meldung damals frei erfunden. Doch ein paar Monate später gab es solche Touren wirklich, denn Reiseveranstalter wollen ihrer vermeintlichen Konkurrenz zuvorkommen. Mit Grzimeks Trick konnte die Serengeti weiterleben."

zitat "Um hauptsaechlich die Beduerfnisse von kommerziellen Safaris und Grosswildjagd zu befriedigen, wurde der koloniale Naturschutz in Afrika hin zur Errichtung von Reservaten fuer grosse Wildtiere dirigiert", Paul Alan Cox und Thomas Elmquist, 1997.

Dirk Maxeiner und Michael Miersch verfallen in ihrem "Lexikon der OEkoirrtuemer" pikanterweise selbst einem "OEkoirrtum", dem Mythos Wildnis. Die beiden OEko-Realisten glauben - wie ihr offensichtliches Vorbild Grzimek - auch zu Ende des 20. Jahrhunderts noch derselben unwissenschaftlichen, mythischen Vorstellung des 19. Jahrhunderts, derzufolge Naturschutz nur in Form von unberuehrter Wildnis moeglich sei und dass die Präsenz von einheimischen Menschen per Se eine Landschaft degradiere oder schände. Gebe es beispielsweise den Amboseli-Nationalpark und den dort stattfindenden Massen-Naturtourismus nicht, wäre dieses Wildschutzgebiet eine Rinderweide oder ein Maisacker, postulieren sie. Diese Einstellung hat aber nichts mit Realismus noch mit OEkologie zu tun, sondern eher mit Ethnozentrismus, der den einmischen, in der Region des Amboseli urspruenglich lebenden Massai jegliche Kenntnisse um die nachhaltige Nutzung ihres eigenen Lebensraumes abspricht. Wie selbstverständlich wollen die beiden OEko-Realisten deshalb in ihrem Buch auch mit dem "unerschuetterlichen Mythos vom edlen Wilden" aufräumen und gehen dabei einem zweiten Irrtum auf den Leim. Sie brandmarken die "Edlen Wilden" als Naturzerstoerer, die nicht mit Feuer umgehen koennen und schieben ihnen die katastrophalen Brandrodungen der letzten drei Jahrzehnte in den Regenwaldregionen Suedamerikas und Suedostasiens in die Schuhe.

Dirk Maxeiner und Michael Miersch: "Wer Feuer entfacht, kann Waelder in Steppen verwandeln. Und genau dies haben Naturvoelker, und später die Hirtenkulturen in grossem Massstab getan... Bis heute besitzt Brandrodung (etwa in den Regenwaldregionen Suedamerikas und Suedostasiens) mehr Zerstoerungskraft als mancher Umweltfrevel der technischen Zivilisation." Die beiden OEko-Realisten stellen die Tatsachen auf den Kopf, ist es eben unsere technische Zivilisation, ihr Hunger nach billigen Sojabohnen, Palmoel, Fleisch und Tierfetten als Rohstoff einer hochindustrielisierten Nahrungs-, Kosmetik-, Reinigungs- und Arzneimittelindustrie, die das Vordringen von Brandrodung und Monokulturen in die Regenwaldgebiete indigener Voelker direkt durch Investitionen und indirekt durch die Abnahme und Vermarktung dieser Massenprodukte finanziert.

zitat "Wir haben tief in der westlichen Kultur noch die Glut des Kolonialismus. Sie sitzt so tief, dass wir sie noch nicht einmal in Frage stellen", der Ethnobotaniker Paul Cox im New Scientist 1997 Maxeiner und Miersch sollten - wie jeder Geographielehrer an unseren Schulen - wissen, dass die gefährlichen, grossflächigen Brandrodungen in Lateinamerika und Suedostastien nicht von den in den Waeldern heimischen Ureinwohnern gelegt werden, sondern von aus anderen Regionen zugewanderten Siedlern, Grossgrundbesitzern und internationalen Investoren aus den Industriestaaten. Aber stattdessen loben die Öko-Realisten die "alten Industrienationen Europas und Amerikas", wo "sich der Wind gedreht" habe. Sie schreiben: "Die Vereinigten Staten, die als groesste Wirtschaftsmacht der Erde eine Leitfunktion haben, stellen elf Prozent ihrer Fläche unter Naturschutz. Tausende von professionellen Naturschuetzern bewachen die Wildnisgebiete in den USA." Weltweit sei die Zahl der Naturreservate in hundert Jahren auf zirka 8500 angestiegen, freuen sich die OEko-Realisten und texten enthusiastisch: "Der kulturelle Fortschritt der sich dadurch ausdrueckt, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Denn viele Tausend Jahre lang betrachteten Menschen die Wildnis stets als Feind." Die beiden "Fachautoren" sollten sich fragen, vor wen die vielen tausend "professionellen Naturschuetzer" die Wildnisgebiete bewachen muessen" Ist es ein Fortschritt, wenn heute der (indigene) Mensch als Feind betrachtet wird? Und woher wissen Maxeiner und Mirsch, dass die zahlreichen unterschiedlichen Voelker, die unseren Planeten bis heute bevoelkern, tatsaechlich "viele Tausend Jahre lang" die "Wildnis stets als Feind" betrachtet haben? Diese (Falsch)-Aussage der OEko-Realisten zeigt deutlich eine eingeschränkte Sichtweise, die nur sich selbst reflektiert.

zitat "Alejandro Argumedo, ein Quechua-Indio aus Peru wies darauf hin, dass bis zum 19. Jahrhundert die meisten unverdorbenen Gebiete von indigenen Voelkern kontrolliert wurden. Als Ergebnis davon enthalten weiterhin die von Ureinwohnern kontrollierten Gebiete mehr gefährdete Tier- und Pflanzenarten als alle Naturreservate der Welt zusammen." Paul Alan Cox und Thomas Elmqvist, in Ambio 1997

Der Schutz der Natur in ihrer gesamten Vielfalt ist sicher ein lobenswertes Ziel. Aber wird dieses Ziel tatsächlich mit dem instrumentalisierten Mythos Wildnis erreicht" Kurt Tucholsky sagte einmal zu seiner Korrespondentin: "Ich habe meine Liebe, nur ein Argument gegen das Christentum: Es hat bisher nichts genuetzt." Dies wäre das optimistischste, was er heute zum westlichkonservativen, auf Wildnisse und Nationalparke setzenden Naturschutz sagen koennte. Seit Verbreitung der naturschutzorientieren Wildnis-Ideologie, schreitet der Verlust an biologischer Vielfalt global immmer schneller vorwaerts. ....

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