Anti-Zwangspsychiatrie

BUNTE VERSAMMLUNGEN ORGANISIEREN, ANMELDEN, DURCHSETZEN

Der Ort einer Versammlung


1. Einleitung zu Demotipps und -recht
2. Was ist eine Versammlung?
3. Sind Sitzblockaden eine Versammlung?
4. Die Unterscheidung: Normal-, Eil- und Spontanversammlungen
5. Demo-Leitung und innere Struktur
6. Der Ort einer Versammlung
7. Spezial: Autobahnen als Versammlungsort
8. Übernachten und Versorgung auf Versammlungen
9. Auf dem Weg zur Demo
10. Anmeldung einer Versammlung und Kooperationszwang für Behörden
11. Links
12. Materialien zu Demorecht und -organisation

Den Ort einer Versammlung oder eine zurückzulegende Route festzulegen, ist Sache der Versammlung bzw. deren Leitung selbst. Polizei und Versammlungsbehörde können per Auflagen Änderungen durchsetzen, aber nur wenn durch den gewählten Ort eine Gefahrenlage entsteht, z.B. unverhältnismäßige Behinderungen anderer Rechtsgüter oder die Störung einer anderen Versammlung.

Weitgehend freie Ortswahl
Aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg am 22.6.2021 (Az. 3 B 150/21 MD)
Darüber hinaus bleibt es – wie bereits ausgeführt – dem Veranstalter der Versammlung im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts überlassen, einen für die Meinungskundgabe geeigneten Ort zu wählen.

Aus dem Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 2.7.2021 (Az. 2 M 78/21)
Private, nicht eingefriedete Waldflächen stehen grundsätzlich als Versammlungsorte zur Verfügung, da dort im Grundsatz ein Zutrittsrecht der Allgemeinheit besteht (vgl. HessVGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 - 2 B 2546/20 - juris Rn. 22). …
Zwar gewährt die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten, insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind. Demgegenüber verbürgt sie die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies ist neben dem öffentlichen Straßenraum auch bei außerhalb hiervon gelegenen Stätten der Fall, sofern dort in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen, nicht aber beispielsweise in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, nicht für die Allgemeinheit geöffneten Anlagen (BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 1 BvR 2734/20 - juris Rn. 10, m.w.N.). Dem entsprechend stehen auch private, nicht eingefriedete Waldflächen grundsätzlich als Versammlungsorte zur Verfügung, da dort im Grundsatz ein Zutrittsrecht der Allgemeinheit besteht (vgl. HessVGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 - 2 B 2546/20 - juris Rn. 22). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BWaldG ist das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung gestattet. Auch nach § 22 Abs. 1 LWaldG LSA ist das Betreten der freien Landschaft zum Zwecke der Erholung - vorbehaltlich der in nachfolgenden Regelungen normierten Einschränkungen - gestattet. Der in diesen Regelungen angegebene Zweck der Erholung und der Umstand, dass nach § 22 Abs. 2 Nr.1 und 2 LWaldG LSA das Zelten oder das Aufstellen von Wohnwagen sowie das Anlegen von Feuerstellen in der freien Landschaft der vorherigen Zustimmung des Nutzungsberechtigten bedarf, vermag nichts daran zu ändern, dass die freie Landschaft im Grundsatz - und allein darauf kommt es für die Durchführbarkeit von Versammlungen an - allgemein zugänglich ist.


Aus dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) am 28.10.2020 (Az. 2 B 2600/20)
Das den Grundrechtsträgern durch Art. 8 GG eingeräumte Selbst-bestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Veranstaltung ist durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt. Es umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen etwa durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Ver-sammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O., juris Rn. 54, 63). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001, a.a.O., juris Rn. 64).
Ausgehend hiervon ist die mit der „Abschiedsversammlung“ im von den Fällungen betroffenen Baumbestand und die mit der Bildung einer Menschenkette verbundene Blockade der Räumungs- und Rodungsarbeiten im Trassenbereich für die Dauer einer Stunde zu Beginn der täglichen Räumungs- und Rodungsarbeiten entsprechend der Anmeldung des Antragstellers jeweils einmal in der Woche von der dadurch in der Bauvorbereitung beeinträchtigten DEGES GmbH bzw. der Vorhabenträgerin hinzunehmen. Während der Bildung der Menschenkette müssen die Harvester und sonstigen Gerätschaften stillstehen, und eine Räumung der Baumhäuser ist solange nicht möglich.


Bautrassen stehen Versammlungen offen, solange sie nicht umgewidmet sind
Aus dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) am 28.10.2020 (Az. 2 B 2622/20)
Die bei Bildung der Menschenketten zu betretenden Flächen stehen grundsätzlich noch als Versammlungsort zur Verfügung. Auch wenn sie sich bereits im Eigentum der DEGES GmbH befinden, handelt es sich immer noch um Waldflächen, zu denen im Grundsatz ein Zutrittsrecht der Allgemeinheit besteht (§ 14 des Bundeswaldgesetzes, § 15 des Hessischen Waldgesetzes).


Störung des Autoverkehrs - Verbotsgrund?
Immer öfter argumentieren Versammlungsbehörden und Gerichte mit der Störung von Autos durch Aktionen und Demos auf der Straße. Die hätten ein Recht auf freie Fahrt überall, was vermeintlich auf der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 GG beruhen soll. Schon die Tatsache, dass das nur für Demos und Aktionen auf der Straße angewendet wird, aber nicht auf Fuß- und Radwegen, zeigt den Willkürcharakter dieser Interpretation. Dennoch wird das Verbot von Demos oder deren Zwangsverlegung auf Bereiche für Fußgänger*innen oder Radler*innen immer öfter praktiziert.

Verbot einer Demo auf einer Straße, gegen die sich die Demo richtete
Aus der Begründung der Stadt Gießen für ein Verbot einer Versammlung auf einer kleinen Nebenstraße, weil Autos deshalb einen kleinen Umweg von max. 100m nehmen müssen (Rad- und Fußverkehr ist unbeeinträchtigt) - Schreiben vom 29.9.2023
Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs stellt nach allg. Meinung ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit dar.
Mit dieser Formulierung wird das Verbot begründet, die Fahrbahn nutzen zu dürfen. Mit "Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs" ist hier nur der Autoverkehr gemeint, den Rad- und Fußverkehr konnten die Stelle weiterhin passieren, ÖPNV gab es auf dieser Strecke nicht. Verkehr = Autoverkehr ist die häufigste Rechtsbeugung in Auseinandersetzungen um eine gleichberechtigte Mobilität.

Aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29.9.2023 dazu (Az. 9 L 2430/23.GI)
Die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs ist ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ... überwiegen der Rechte Dritter und der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs

Aus dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH) vom 5.10.2023 (Az. 2 B 1353/23)
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor.

Dann ein völlig unlogischer Sprung:
Bei innerörtlichen Straßen und Plätzen ist zudem zu berücksichtigen, dass Einschränkungen oder gar ein Verbot aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen, weil die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt (vgl. HessVGH, Beschluss vom 04.06.2021 - 2 B 1193/21 -, juris Rn. 4). Danach rechtfertigt die von der Antragsgegnerin geltend gemachte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit die Beschränkung der Versammlung nach § 14 Abs. 1 HVersFG durch Begrenzung bzw. Verlegung der Versammlungsfläche.
Durch den jetzigen Versammlungsort wird die öffentliche Sicherheit verletzt. Die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs ist ein zu schützendes allgemeines Rechtsgut (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsordnung). Auch die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs stellt ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit dar, welches durch die Vorschriften des Straßenverkehrsrechts geschützt ist (Groscurth, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Auflage 2021, G Rn. 58). Zwar treten die grundsätzlich einzuhaltenden Vorschriften des Straßenverkehrsrechts hin-ter das Versammlungsrecht zurück, weshalb gewisse Erschwerungen oder vorübergehende Störungen des Straßenverkehrs hinzunehmen sind; gleichwohl haben die Versammlungsteilnehmer die verkehrsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich zu be-achten (Groscurth, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Auflage 2021, G Rn. 58). Das Versammlungsrecht gestattet es ferner nicht, absichtlich den Stra-ßen- oder Schienenverkehr lahmzulegen (Groscurth, a.a.O.). Die streitgegenständliche Versammlung in Form des Protestcamps blockiert die Durchfahrt von Pkw und Lkw von der Landgrafenstraße auf die Ostanlage und beein-trächtigt damit die Leichtigkeit des Verkehrs in erheblichem Maße. ...
Demgegenüber ist aber zu berücksichtigen, dass das Protestcamp die Durchfahrt von Pkw und Lkw von der Landgrafenstraße auf die Ostanlage blockiert. Diese ab-sichtliche Blockade einer Straße geht weit über das unvermeidliche Maß der Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hinaus und stellt somit eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar (vgl. Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Auflage 2018, Rn. 191). Zwar können Radfahrer und Fußgänger die Straße passieren, aber dieses Recht steht nach dem Widmungszweck der Straße auch dem motorisierten Kraftfahrzeugverkehr zu. Es fällt hierbei auch die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG der Pkw- und Lkw-Fahrer ins Gewicht, deren individuelle Rechtsgüter ebenfalls von der öffentlichen Sicherheit umfasst werden. ...
Es würde dem Recht zuwi-derlaufen, die durch die streitgegenständliche Versammlung verursachte Blockade des Pkw- und Lkw-Verkehrs auf der Landgrafenstraße zur Einmündung in die Ostanlage weiterhin zu dulden.

Die Gerichtsbeschlüsse sind falsch, denn Art. 2 GG wird durch andere Grundrechte (u.a. Versammlungsfreiheit) verdrängt.
Im Original: Art. 2 nachrangig gegenüber Art. 8 (Versammlungsfreiheit)
Nach der Lehre von der allgemeinen Handlungsfreiheit ist jedes Verhalten geschützt, ohne Rücksicht darauf, welche Bedeutung ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt. Das hat zur Folge, dass Art. 2 I GG im Verhältnis zu anderen Freiheitsrechten ein Auffanggrundrecht ist. Wenn aber der Schutzbereich eines anderen, spezielleren Freiheitsrechts berührt ist, tritt Art. 2 I GG hier hinter zurück und ist höchstens subsidiär anwendbar. Letztlich kann unter Berufung auf Art. 2 I GG jede hoheitliche Maßnahme mit belastendem Charakter vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden. ++ Quelle

Aus Bodo Pieroth/Bernhard Schlink (2008), "Grundrechte Staatsrecht II" (Rdnr. 369)
Art. 2 Abs. 1 ist Auffanggrundrecht gegenüber den speziellen Grundrechten und tritt hinter diese zurück, soweit deren Schutzbereiche reichen (Subsidiarität ...). Er gewinnt nur Bedeutung, wenn kein Schutzbereich eines speziellen Grundrechts einschlägig ist.

Bahnhöfe, Flughäfen und mehr
Per Versammlungsrecht können alle Orte der öffentlichen Hand (Staat, Gemeinden) genutzt werden, die auch sonst öffentlich zugänglich sind und kommunikativen Zwecken dienen. Das sind nicht nur Straßen und Plätze, sondern auf jeden Fall auch Flughäfen und Bahnhöfe, parkähnliche Anlagen um öffentliche Gebäude (genutzt z.B. bereits bei Demos gegen Zwangspsychiatrien). wahrscheinlich aber auch Foyers von Hallen und Rathäusern sowie ähnliche Einrichtungen, zumindest während der Öffnungszeiten und wenn diese auch außerhalb der Versammlungsphase kommunikativen Zwecken dienen (also nicht nur Eingangsportal sind ohne weitere Zwecke). Spannend kann das auch für Firmenflächen und -gebäude sein, die in öffentlicher Hand sind. Wieweit das "Fraporturteil" im Detail reicht, wird sicherlich noch in weiteren Gerichtsverfahren auszuloten sein.

Zu kommerziellen Räumen, die öffentlichen Charakter haben (Flughäfen, Bahnhöfe ...)
Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 699/06 vom 22.2.2011
Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Verwendung von zivilrechtlichen Handlungsformen als auch für den Einsatz privatrechtlicher Organisations- und Gesellschaftsformen. Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.
a) Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Der Begriff der staatlichen Gewalt ist dabei weit zu verstehen und erstreckt sich nicht nur auf imperative Maßnahmen. Entscheidungen, Äußerungen und Handlungen, die - auf den jeweiligen staatlichen Entscheidungsebenen - den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürger getroffen zu werden, sind von der Grundrechtsbindung erfasst. Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist danach jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen, weil es in Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags erfolgt.
Art. 1 Abs. 3 GG liegt dabei eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich rechenschaftspflichtig zu sein. Ihre Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und - insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit - prinzipiell begrenzt. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung steht nicht unter einem Nützlichkeits- oder Funktionsvorbehalt. Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden, unabhängig davon, in welcher Rechtsform er handelt. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung von Art. 1 Abs. 3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre, ist ihm verstellt.
b) Die unmittelbare Grundrechtsbindung betrifft nicht nur öffentliche Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, sondern auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden.



Recht auf Versammlungsort nahe am Objekt der Kritik
Aus Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano (Geschäftsführender Direktor des Zentrums für europäische Rechtspolitik (ZERP) am Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Bremen): "Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit bei Gleisdemonstrationen"
1.6.2. Nexus von Ort und Kommunikationszweck passt auf jeden Fall: Sofern es vorliegend darum geht, dass sich die Bf. auf staatlichen Infrastruktureinrichtungen versammelt und sich dabei nicht im Rahmen des ursprünglichen Widmungszwecks bewegt, kommt es für die Schutzbereichseröffnung des Art. 8 I GG darauf an, genau zu bestimmen, ob die Infrastruktureinrichtung „als wirkungsmächtiger Versammlungsort, bzw. aussagekräftige Kulisse für ein spezifisches Versammlungsgeschehen [...] am Garantiegehalt des Art. 8 Abs. 1 GG teilhaben kann“. (Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder u.a., Versammlungsrecht, 1992, § 15 Rdn. 204.)
Ob dies der Fall ist, muss eine umfassende Einbeziehung aller Gesichtspunkte ergeben; schematische Lösungen verbieten sich hier.
1.6.3. Symbolische Unterbrechung der inkriminierten Maßnahmen kann hier auch eingebaut werden
Insbesondere dann, wenn der mit der Veranstaltung verbundene Kommunikationszweck in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Örtlichkeit steht, liegt ein gewichtiger Grund dafür vor, den örtlichen Schutzbereich des Art. 8 I GG auch dann zu eröffnen, wenn die Demonstrationsnutzung über den eigentlichen Nutzungszweck hinausgeht.
Der Nexus von kommunikativer Kritik und Örtlichkeit des inkriminierten Verhaltens wurde insbesondere auch durch den EuGH in der Entscheidung Schmidberger ./. Österreich – der eine Autobahndemonstration zugrunde lag – hervorgehoben. Der Zusammenhang von Ort und Versammlungsziel könne es nötig machen, Meinungsfreiheits- und Demonstrationsgrundrechte dann deutlich zu akzentuieren, wenn ein Bezug des Ziels zur Örtlichkeit gegeben ist: „Strengere Auflagen hinsichtlich des Ortes der fraglichen Versammlung – z. B. neben der Brenner-Autobahn – wie ihrer Dauer – nur wenige Stunden – hätten als übermäßige Beschränkung wahrgenommen werden können, die der Aktion einen wesentlichen Teil ihrer Wirkung hätte nehmen können. Zwar müssen die zuständigen nationalen Stellen bestrebt sein, die mit einer Demonstration auf öffentlichen Straßen verbundenen unausbleiblichen Auswirkungen auf die Freiheit des Verkehrs möglichst gering zu halten, doch haben sie dieses Interesse gegenüber dem der Demonstranten, die öffentliche Meinung auf die Ziele ihrer Aktion aufmerksam zu machen, abzuwägen“. (EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge / Republik Österreich), Slg. 2003, I-5659, Rdn. 90.)


Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1 BvR 1423/07 vom 6.6.2007 (Fall: G8-Gipfel Heiligendamm 2007)
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfGE 69, 315 (323, 365)) ...
Dass die Behörde einen entsprechenden Schutzraum in der Nähe des Ortes des G8-Gipfels geschaffen und mit dafür geeigneten Schutzvorkehrungen versehen hat, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Verfassungsrechtlich bedenklich ist es aber, diesen Schutzraum bis an die Grenze der Verbotszone II auszudehnen und ein absolutes Demonstrationsverbot in der gesamten Zone am Tage vor und während der Durchführung des Gipfels vorzusehen. Es stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken, ein solches Versammlungsverbot - wie es insbesondere das Oberverwaltungsgericht getan hat - im Wesentlichen unter Verweis auf das Sicherheitskonzept der Versammlungsbehörde zu rechtfertigen. Die Überlegungen, die diesem Sicherheitskonzept zugrunde liegen, tragen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht Rechnung.
Der sich an der Küste auf etwa 8,2 km, in nord-südlicher Richtung auf etwa 5,2 km und in ost-westlicher Richtung auf etwa 8,5 km erstreckende Bereich des Verbots umfasst eine weit vom Veranstaltungsort entfernt liegende Fläche. Bezogen auf sie ein absolutes Versammlungsverbot auszusprechen und - wie im Fall der Antragsteller - durch eine weitere Verbotsverfügung zu konkretisieren, setzt gemäß § 15 Abs. 1 VersG hinreichend schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Sicherheit voraus. Denn die Einrichtung dieser Verbotszone bedeutet, dass Versammlungen mit einem räumlichen Bezug zu dem Anlass des G8-Gipfels und unter Nutzung des Symbolgehalts der besonderen Nähe zu diesem Ort ausgeschlossen werden. ...
An diesen das Sicherheitskonzept referierenden Aussagen des Oberverwaltungsgerichts, dem Protokoll des Erörterungstermins sowie den Verfügungen und den weiteren Schriftsätzen der Polizeidirektion Rostock in den gerichtlichen Verfahren entnommenen Überlegungen ist an keiner Stelle erkennbar, dass in das Sicherheitskonzept auch Anliegen der Durchführbarkeit von Demonstrationen, insbesondere solcher mit einer inhaltlichen Stoßrichtung gegen den G8-Gipfel, eingeflossen sind. Auch die auf Anforderung des Gerichts erfolgte Darstellung des Sicherheitskonzepts durch die Polizeidirektion Rostock geht in keinerlei Hinsicht auf die Frage der Berücksichtigung berechtigter Belange zur Durchführung von Demonstrationen ein.
Nach den vorliegenden Unterlagen ging es in dem Sicherheitskonzept ausschließlich darum, Sicherheit gegen Demonstranten und gegen die möglicherweise im Umfeld der Demonstration sich aufhaltenden potentiellen Gewalttäter zu ermöglichen. So betrachtet, war das den Schutz des G8-Gipfels dienende Sicherheitskonzept zugleich zumindest objektiv ein gegen die Durchführbarkeit von Versammlungen in der Verbotszone gerichtetes Konzept.


Privatflächen
Es gibt eine interessante Entwicklung in der Rechtsprechung, an deren Ende wahrscheinlich auch ein Versammlungsrecht auf privaten Flächen steht, wenn sie auch sonst öffentlich zugänglich sind und kommunikativen Zwecken dienen.
  • Vorentscheidung gefallen: Demnächst auch Demorecht auf Privatflächen, die für öffentlichen Verkehr offen sind (BVerfG)

Wo erlaubt und wo verboten?
Eine bereits vorliegende Sondernutzungserlaubnis für Straßen darf Demonstrationen nicht unmöglich machen, dieser auf einer Rechtsgrundlage unterhalb des Versammlungsrechtes steht.

Aus dem Beschluss des BVerfG vom 18. August 2000 (1 BvQ 23/00)
Erklärt der Veranstalter dabei einen Versammlungsort, der einen besonders nahen Bezug zum Versammlungsthema hat, für unverzichtbar, dann darf diese Alternative nur ausgeschlossen werden, wenn sie keine polizeilich vertretbare Möglichkeit zur Vermeidung einer Lage polizeilichen Notstands belässt.

Aus dem "berühmten" Fraport-Urteil des BVerfG, 1 BvR 699/06 vom 22.2.2011
Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 (343)). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können.
(1) Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt es dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus.
(2) Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist.
Dies betrifft - unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts - zunächst den öffentlichen Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Vor allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen. In verstärktem Maß gilt dies für Fußgängerzonen und verkehrsberuhigte Bereiche; die Ermöglichung des kommunikativen Verkehrs ist ein wesentliches Anliegen, das mit solchen Einrichtungen verfolgt wird (vgl. Stahlhut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 730). Das Versammlungsrecht knüpft an diese Funktion an. Dabei beachtet es die allgemeinen straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, die es jedoch partiell überlagert, sofern dies für eine effektive Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit erforderlich ist. Öffentliche Versammlungen und Aufzüge finden hier die Bedingungen, um Forderungen einem allgemeinen Publikum zu Gehör zu bringen und Protest oder Unmut sinnbildlich „auf die Straße zu tragen“.
Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind. Grundrechtlich ist auch unerheblich, ob ein solcher Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird. Ein Verbot von Versammlungen kann auch nicht als Minus zu der Nichtöffnung des Geländes und damit als bloße Versagung einer freiwilligen Leistung angesehen werden. Vielmehr besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen: Er würde sich damit in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen.
(3) Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber zum einen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine individuelle Eingangskontrolle wie an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung sicherstellt, dass nur bestimmte Personen - die Flugpassagiere, um ihre Reise anzutreten - Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht werden.
Zum anderen beantwortet sich die Frage, ob ein solcher außerhalb öffentlicher Straßen, Wege und Plätze liegender Ort als ein öffentlicher Kommunikationsraum zu beurteilen ist, nach dem Leitbild des öffentlichen Forums (vgl. zu ähnlichen Kriterien: Supreme Court of Canada, Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada, (1991) 1 S. C. R. 139; Supreme Court of the United States, International Society for Krishna Consciousness v. Lee, 505 U.S. 672 (1992)). Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht. Abzugrenzen ist dies von Stätten, die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind. Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen - außerhalb privater Nutzungsrechte - die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies indes dort, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung. ...
Versammlungen an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG und unterliegen dem Gesetzesvorbehalt. Dies gilt unabhängig davon, ob die der Allgemeinheit geöffneten Orte als solche in der freien Natur oder in geschlossenen Gebäuden liegen. Maßgeblich ist, dass Versammlungen an solchen Orten ihrerseits in einem öffentlichen Raum, das heißt inmitten eines allgemeinen Publikumsverkehrs stattfinden und von diesem nicht räumlich getrennt sind.
Der Begriff der „Versammlung unter freiem Himmel“ des Art. 8 Abs. 2 GG darf nicht in einem engen Sinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort verstanden werden. Sein Sinn erschließt sich vielmehr zutreffend erst in der Gegenüberstellung der ihm unterliegenden versammlungsrechtlichen Leitbilder: Während „Versammlungen unter freiem Himmel“ idealtypisch solche auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind, steht dem als Gegenbild die Versammlung in von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Räumen wie etwa in Hinterzimmern von Gaststätten gegenüber. Dort bleiben die Versammlungsteilnehmer unter sich und sind von der Allgemeinheit abgeschirmt, so dass Konflikte, die eine Regelung erforderten, weniger vorgezeichnet sind. Demgegenüber finden Versammlungen „unter freiem Himmel“ in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit einer unbeteiligten Öffentlichkeit statt (vgl. Arbeitskreis Versammlungsrecht, Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz , 2011, Begründung zu § 10, S. 34). Hier besteht im Aufeinandertreffen der Versammlungsteilnehmer mit Dritten ein höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotential: Emotionalisierungen der durch eine Versammlung herausgeforderten Auseinandersetzung können sich im Gegenüber zu einem allgemeinen Publikum schneller zuspitzen und eventuell Gegenreaktionen provozieren. Die Versammlung kann hier leichter Zulauf finden, sie bewegt sich als Kollektiv im öffentlichen Raum. Art. 8 Abs. 2 GG ermöglicht es dem Gesetzgeber, solche Konflikte abzufangen und auszugleichen. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass in solcher Berührung mit der Außenwelt ein besonderer, namentlich organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf besteht, um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung des Versammlungsrechts zu schaffen, anderseits kollidierende Interessen anderer hinreichend zu wahren (vgl. BVerfGE 69, 315 (348)). ...
Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht. Die umfassende Bestätigung des der Beschwerdeführerin erteilten Flughafenverbots durch die Zivilgerichte ist - jedenfalls angesichts der unmittelbaren Grundrechtsbindung der Beklagten - mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar.
Das von der Beklagten ausgesprochene Flughafenverbot untersagt der Beschwerdeführerin die Durchführung jeglicher Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens, sofern diese nicht vorher nach Maßgabe einer grundsätzlich freien Entscheidung von der Beklagten erlaubt werden. Es beschränkt sich folglich nicht auf die Abwehr konkret drohender Gefahren für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter, sondern versteht sich als generelles Demonstrationsverbot gegenüber der Beschwerdeführerin. Ein solches Verständnis legt auch der Bundesgerichtshof dem Flughafenverbot zugrunde. Zwar bezieht er sich zur Begründung seiner Entscheidung auch auf konkrete, früher von der Beschwerdeführerin durchgeführte Versammlungen und stellt darauf ab, dass die Beklagte als Flughafenbetreiberin „vergleichbare Aktionen“ (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2006 - V ZR 134/05 -, NJW 2006, S. 1054 (1056)) nicht dulden müsse. Er leitet hieraus jedoch das berechtigte Interesse der Flughafenbetreiberin her, das Verbot insgesamt und ohne weitere Begrenzungen zu erlassen. Dieses erstreckt sich generell auf jede Art von Versammlung, auf alle Bereiche des Flughafens und auf unbegrenzte Zeit. Die Beschwerdeführerin muss danach für künftige Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens um eine Erlaubnis nachsuchen. Dabei ist nicht erkennbar, unter welchen Bedingungen diese erteilt würde; vielmehr wird hierbei der Beklagten ein im Grundsatz freies Entscheidungsrecht zuerkannt. Die gerichtliche Bestätigung eines solch generellen Versammlungsverbots in dem zu weiten Teilen als öffentliches Forum ausgestalteten Flughafen genügt den Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht.


Beispiel: Streit um Ortsverbote bei Demo in Bochum
Der Rahmen war absurd - es ging um das Verbot herrschaftskritischer Veranstaltungen auf der sogenannten "Liberatären Medienmesse" 2012 in Bochum-Langendreer. Ein trauriges Beispiel für die autoritären Verhältnisse in politischen Bewegungen. Doch das ist hier nicht interessant. Die Betroffenen meldeten nämlich eine Demonstration gegen die Zensur an und wollten in diesem Rahmen auch die verbotenen und mehr Veranstaltungen durchführen. Doch die Polizei half den sog. "Libertären" - sie verbot die Demo in direkter Nähe. Stattdessen bot sie einen ungeeigneten Schotterplatz an. Das Verwaltungsgericht bestätigte im Eilverfahren die Entscheidung, musste sich aber dann im Hauptverfahren eines Besseren belehren lassen.


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