Anti-Zwangspsychiatrie

ZWANGSREGIME DER PSYCHIATRIE
EINSPERREN, FIXIEREN, ZWANGS"THERAPIE"

Geschichte


1. Einleitung und allgemeine Kritik
2. Unsere Sofortforderungen und weitere Aufrufe gegen Zwang und Willkür
3. Wahlrechtsentzug
4. Einblicke
5. Was ist Krankheit?
6. Freiheit ist besser
7. Geschichte
8. Kritik
9. Links
10. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Es gibt Menschen, die glauben, dass Folter, Erniedrigung und Massenmord an psychiatrisierten Menschen eines der Verbrechen des Nationalsozialismus waren. Diese Sichtweise ist falsch. Vielmehr hat der Brutalo-Faschismus von 1933 bis 1945 die schon vorher (und hinterher!) auf Ausmerzung sog. unwerten Lebens ausgerichteten Heil(Hitler)Anstalten völlig ungehemmt morden lassen. Getötet und unterdrückt wurde aber immer - bis heute. Es ging unter den Nazis nur schneller und phasenweise fabrikmäßig (T4-Mordaktion).

Aus "Mordatmosphäre", in: Junge Welt am 14.7.2020 (S. 12f.)
Am 14. Juli 1933 erließen die Nazis das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«. Schon vor dem »Euthanasie«-Programm ab 1940 sorgte die Stimmung gegen Behinderte und Kranke für Tote ...
Schon vor der Nazizeit hatte man dort in Notzeiten, beispielsweise während des Ersten Weltkrieges, die Ausgaben für die Ernährung drastisch gekürzt. Infolgedessen starben viele Patienten an eigentlich heilbaren Krankheiten wie Grippe und anderen Infektionskrankheiten, aber auch an ausgesprochenen Mangelkrankheiten wie Typhus oder Tuberkulose. In der Anstalt Tannenhof beispielsweise, wo die Sterberate immer zwischen fünf und sieben Prozent gelegen hatte, verstarb während des Ersten Weltkrieges fast ein Viertel der Insassen. Auch nach dem Krieg, in den Krisenjahren der Weimarer Republik, hatte die Anstalt noch lange mit einer überdurchschnittlich hohen Sterblichkeit zu kämpfen. Als Marie dort eingewiesen wurde, traf sie auf ein Personal, das sich schon lange an das frühe und vermeidbare Sterben der Patienten gewöhnt hatte.
Damals wurde in Deutschland eine breite Debatte geführt, ob es angesichts der allgemeinen Not gerechtfertigt sei, die knappen Nahrungsressourcen für Menschen mit Behinderung einzusetzen. »Aus dem Zwangsglaubenssatz der schrankenlosen Liebe und der Gleichheit alles Menschlichen vor Gott einerseits und der Lehre vom demokratischen, rasselosen und von keinem nationalverwurzelten Ehrgedanken getragenen ›Menschenrecht‹ andererseits, hat sich die europäische Gesellschaft geradezu als Hüterin des Minderwertigen, Kranken, Verkrüppelten, Verbrecherischen und Verfaulten ›entwickelt‹«, brachte es bereits 1930 der Nazipropagandist Alfred Rosenberg auf den Punkt.
Auch die Kirchen beteiligten sich an dieser Debatte. Beispielsweise die Innere Mission, die größte soziale Organisation der Evangelischen Kirche. 1931, zwei Jahre vor dem Beginn der Nazizeit, berief der Zentralausschuss für Innere Mission eine »Fachkonferenz für Eugenik« in der hessischen Diakonenanstalt Treysa ein. Schon in der Einladung wurde deutlich, wohin in Zukunft die Reise gehen sollte: »Auf dem Gebiet der Fürsorge für Minderwertige und Asoziale tritt immer bedrohlicher das Problem des Ansteigens bzw. der stärkeren Vermehrung des minderwertigen Bevölkerungsteils gegenüber dem gesunden in Erscheinung und erfordert eine grundsätzliche Besinnung und Stellungnahme von unserer Seite.« Offen wurde bereits damals über die »Vernichtung lebensunwerten Lebens« diskutiert. So fragte sich etwa Hans Harmsen, Leiter des Referats Gesundheitsfürsorge beim Zentralausschuss: »Könnten wir eine Kommission anerkennen, die über das Leben von Menschen zu entscheiden hätte? Dem Staat geben wir das Recht, Menschenleben zu vernichten – Verbrecher und im Kriege. Weshalb verwehren wir ihm das Recht zur Vernichtung dieser lästigsten Existenzen?«


Im Original: Statements zur Geschichte
Aus einem Artikel zu einer Ausstellung über düstere Vergangenheit in der Vitos-Psychiatrie, in: Gießener Anzeiger am 23.5.2019
"Ärzte selbst waren die treibenden Kräfte bei allem, was passiert ist", betont Prof. Volker Roelcke vom Institut für Geschichte der Medizin an der Justus-Liebig-Universität.

Aus der Rede von Professor Frank Schneider, Präsident der DGPPN, Aachen
Psychiater haben in der Zeit des Nationalsozialismus Menschen verachtet, die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten in ihrem Vertrauen getäuscht und belogen, die Angehörigen hingehalten, Patienten zwangssterilisieren und töten lassen und auch selber getötet. An Patienten wurde nicht zu rechtfertigende Forschung betrieben, Forschung, die Patienten schädigte oder gar tötete.
Warum haben wir so lange gebraucht, uns diesen Tatsachen zu stellen und offen mit diesem Teil unserer Geschichte umzugehen? Einerseits sind wir stolz, dass die DGPPN zu den ältesten wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften der Welt zählt. Andererseits wurde viel zu lange ein wichtiger Teil der Geschichte dieser Fachgesellschaft ausgeblendet, verdrängt. Dafür schämen wir uns.
Wir sind auch beschämt, weil wir, die deutsche psychiatrische Fachgesellschaft, nicht einmal in der Zeit nach 1945 an der Seite der Opfer gestanden haben. Schlimmer noch: Wir hatten Anteil an ihrer erneuten Diskriminierung und Benachteiligung. ...
Nach dem Krieg geschah, was auch in vielen anderen Bereichen in Deutschland geschah. Es wurde verdrängt. Die psychiatrischen Fachgesellschaften wie die Psychiater – mit einigen, ganz wenigen Ausnahmen wie Gerhard Schmidt oder Werner Leibbrand – haben sich nicht zu dem bekannt, was geschehen ist. Dafür empfinden wir heute Scham und sind fassungslos.
Unfassbar ist bis heute die Geschichte des bereits erwähnten Professors Werner Heyde.[31] Er war der medizinische Leiter der „T4“-Aktion. Nach dem Krieg wurde er per Haftbefehl gesucht und machte unter dem Namen Dr. med. Fritz Sawade von 1950 bis 1959 dennoch eine zweite Karriere als Gerichtsgutachter in Schleswig-Holstein. Er wurde von Ärzten und Juristen gedeckt, die über seine wahre Identität informiert waren. Und viele andere, denen seine Doppelidentität ebenso bekannt war, unternahmen nichts – und es war bekannt, innerhalb und außerhalb unseres Faches. ...
Gutachter in den Anhörungen des Bundestagsausschusses für Wiedergutmachung in den 1960er Jahre waren zum Teil dieselben Psychiater, die im Nationalsozialismus Zwangssterilisierungen gerechtfertigt hatten und an den Tötungsaktionen beteiligt waren. Am 13. April 1961 lehnte Werner Villinger laut Protokoll Entschädigungszahlungen mit der zynischen Begründung ab, es sei die Frage, ob bei der Durchführung einer Entschädigung der Zwangssterilisierten „nicht neurotische Beschwerden und Leiden auftreten, die nicht nur das bisherige Wohlbefinden und (…) die Glücksfähigkeit dieser Menschen, sondern auch ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.“ ...
Im Namen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde bitte ich Sie, die Opfer und deren Angehörige, um Verzeihung für das Leid und das Unrecht, das Ihnen in der Zeit des Nationalsozialismus im Namen der deutschen Psychiatrie und von deutschen Psychiaterinnen und Psychiatern angetan wurde, und für das viel zu lange Schweigen, Verharmlosen und Verdrängen der deutschen Psychiatrie in der Zeit danach. ...
Wir Psychiaterinnen und Psychiater sollen keine Werturteile über Menschen fällen, wir lehren, forschen, behandeln, begleiten und heilen. Die unantastbare Menschenwürde ist immer die Würde des einzelnen Menschen und kein Gesetz und kein Forschungsziel dürfen uns dazu anleiten, diese zu missachten.


BRD führt Nazirecht weiter
Aus , in: Klaus Sessar (Hrsg., 2008): "Herrschaft und Verbrechen" (Lit in Bielefeld)
Nach dem Inkrafttreten des 241 Paragraphen umfassenden BEG von 1956 und der diversen Ausführungsgesetze traten viele Unklarheiten bezogen auf den Gesetzestext und die Umsetzungspraxis auf, so dass der Bundestag einen "Ausschuss für Wiedergutmachung" einsetzte, der ab Februar 1960 prüfte, "ob für die ohne vorausgegangenes Verfahren Sterilisierten ein eigener Rechtsanspruch zu schaffen und ggf. die Überprüfung aller Verfahren nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zu empfehlen sei. Auch die Möglichkeit einer allgemeinen Entschädigung von Personen, die in der Zeit von 1933 bis 1945 sterilisiert worden sind, sollte geklärt werden" (Engel, 2005,62).
Der Ausschuss, dessen Beratungen sich über mehrere Jahre hinzogen, kam schließlich zu folgendem Ergebnis: „Das Motiv, das dem Erbgesundheitsgesetz zugrunde liegt, und der Zweck, dem es dienen sollte, nämlich der Entstehung erbkranken Nachwuchses im Interesse der Erhaltung der Volksgesundheit vorzubeugen, waren aber auch vom Standpunkte naturrechtlicher Anschauungen nicht unrecht oder unsittlich, so daß etwa ein Widerstand gegen das Gesetz als Ganzes und alle seine Bestimmungen gerechtfertigt gewesen wären. Das muß ebenfalls gelten, soweit das Gesetz, wenn bestimmte Umstände vorliegen, die Sterilisation auch unter Zwang für zulässig erklärt"
(zitiert nach Dörner, 1986, S. 33 f.).

Aus Eva Schindele, "Brandstifter der NS-Euthanasie", in: Süddeutsche, 26.9.2016
Obwohl nach dem Krieg einzelne Überlebende vor Gericht aussagten, „wurde ihnen oft nicht geglaubt“, so Engelbracht. „Man hat gesagt, das sind doch Geisteskranke. Die haben sich das eingebildet.“ Und auch Angehörige, die Anträge auf Wiedergutmachung stellten, wie die Witwe Franziska Goldschweer, wurden abgeschmettert: „Ihr Mann war doch krank, und wer krank ist, kann auch sterben.“ Dabei war längst bekannt, dass Meseritz-Obrawalde eine Vernichtungsanstalt war.
Die Anträge auf Wiedergutmachung wurden zum Teil von denselben Psychiatern begutachtet, die an den Zwangssterilisierungen und Tötungsaktionen beteiligt gewesen waren. Nicht erstaunlich, dass sie die Forderungen der Opfer und ihrer Angehörigen ablehnten. Manche dieser Experten wurden sogar noch 1961 im Bundestagsausschutz „Wiedergutmachung“ gehört, unter ihnen der Psychiater Werner Villinger. Er war Beisitzer im Erbgesundheitsgerichten und T4-Gutachter, die nach Aktenlage entschieden, wer vergast werden sollte. Nach dem Krieg machte er Karriere – als Ordinarius in Marburg, später sogar als Rektor der Universität. 1958 war er Mitgründer der „Bundesvereinigung Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“, der heutigen „Lebenshilfe“.
„Es gab keine wirkliche Zäsur nach 1945“, sagt der Psychiater Michael von Cranach, der 1980 als junger Arzt von der bayrischen Bezirksregierung beauftragt wurde, die Nervenklinik in Kaufbeuren zu reformieren, eine der schlimmsten Tötungsanstalten. …
Über Jahrzehnte hinweg sei sich die „scientific economy“ einig gewesen, dass es zwar einzelne schwarze Schafe gegeben habe, die aus Karrierismus, Ehrgeiz, Opportunismus oder ideologischer Verblendung mitgemacht haben“, so der Historiker Schmuhl. Die Mehrheit der Ärzte und Forscher behauptete aber, unter Zwang gehandelt zu haben. „Geschichtsklitterung“ nennt das Schmuhl.
Die Ärzte selbst hätten das Euthanasieprogramm weitgehend entworfen, die Durchführung geplant und evaluiert. Und die meisten Leiter von Behinderteneinrichtungen oder Nervenheilanstalten hätten mitgespielt: „Die waren eine Stütze und kein Hemmschuh der Politik“, bestätigt auch Kersting.


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