Gewaltfrage

KONSUMKRITIK-KRITIK: SELBSTREDUZIERUNG AUFS KONSUMENT*INNENDASEIN

Irrtümer der Konsumkritik und Gegenmittel an Beispielen


1. Einleitung
2. Die Machtfrage ausblenden: Selbstreduzierung aufs Konsument*innendasein
3. Wirkung der Kaufentscheidung wird stark überschätzt
4. Risiken und Nebenwirkungen: Die Kommerzialisierung des Guten
5. Ausblendungen: Die Bio-Tomaten auf den Augen und Ohren
6. Gutes Gefühl für Reiche - Niedermache der Armen
7. Kritik, Zweifel, aber keine grundlegende Analyse
8. Statt Ablasshandel und Schmieren der Getriebe: Aneignung der Verhältnisse
9. Irrtümer der Konsumkritik und Gegenmittel an Beispielen
10. Links und Materialien

Gentechnik
Gentechnikfrei ist ein Label mit Werbewirkung. Die Biobranche ist der kommerzielle Gewinner der Gentechnikdebatte - also absurderweise der bisherige Profiteur des Anbaus und der daraus resultierenden Angst vor der Gentechnik. Das ist nicht die Schuld der Biobranche, aber es zeigt, was Markt und Profit an seltsamen Wirkungen erzeugen. Und mehr:

  • Die Behauptung in Werbebroschüren von Grünen, Umweltverbänden und auf Etiketten der Biomarken, bei richtigem Einkaufsverhalten lasse sich ein gentechnikfreies Leben führen, ist ziemlicher Unsinn. Gentechnik kreuzt aus und vermischt sich in den Produktionszyklen von Anbau, Ernte, Lagerung, Transport und Verarbeitung. Der Gentechnikreis LL601 hat 2006 bewiesen, was das heißt. Von Versuchsfeldern schaffte er es in unter zehn Jahren, weltweit in Reispackungen in Supermarktregalen zu kriechen. Gentechnikfreiheit lässt sich nur durchsetzen, wenn die Quellen geschlossen werden, nicht über Etikettierungen und Einkauf. Die Versprechungen sollen den Verkauf ankurbeln - eine zutiefst kapitalistische Logik.
  • Die Fokussierung auf die Gentechnik war auch werbetechnisch bedingt. Solch einfache Losungen, am besten mit Gut-Schlecht-Einteilungen, sind einfach vermittelbar. Doch sie vernebeln die Komplexität. Ist eine Landwirtschaft, die gentechnikfrei arbeitet, aber mit Giften und Dünger nur so um sich wirft, plötzlich gut, weil sie mit "gentechnikfrei" gelabelt werden kann? Was hilft es dem Regenwald oder den dort lebenden Menschen, wenn sie für gentechnikfreies Soja umgenietet oder vertrieben werden? Sind das dann nicht auch Tomaten auf den Augen - nur diesmal gentechnikfrei?
  • Wenn aber die Biomarken und gentechnikfrei gelabelten Lebensmittel genau aus der Angst vor der Gentechnik und der Suggestion von Sicherheit durch gezieltes Kaufen ihren Marktvorteil ziehen, wie werden sie eines Tages auf die erwartbaren Verunreinigungen reagieren? Für Biomarken könnte es überlebenswichtig sein, diese zu vertuschen. Wenn das passiert, wäre es kein böser Wille, sondern schlicht die Logik des Kapitalismus. Die Firma Taifun (Tofufabrik) hat vor vielen Jahren die Labelung für Gentechnikfreiheit von ihren Produkten genommen mit der schlicht realistischen Einschätzung, dass sie nichts garantieren könnten und auch nicht unbedingt mitbekommen würden, wenn es zu Verunreinigungen kommt. Die Entscheidung von Taifun hat damals in der Biobranche sehr viel Unbehagen ausgelöst und wird inzwischen auch von Taifun nicht weiter thematisiert.
  • Einen Hauch von dieser immerwährenden Nähe zum Kapitalismus auch der Biomarken konnten Gentechnikkritiker_innen schon erleben - nämlich als die Universitäten Gießen und Erlangen 2006 ein Feld mit transgener Gerste anpflanzten. Damals wurden mehrere Brauereien, auch ökologisch wirtschaftende Betriebe, angesprochen. Alle lehnten lange eine Unterstützung. Ihr Motiv: Sie wollten nicht, dass überhaupt bekannt wurde, dass gentechnisch veränderte Gerste in der Landschaft stand. Sie befürchteten Umsatzeinbußen. Plötzlich waren sie hinsichtlich Vertuschung auf der gleichen Seite wie die Gentechniklobby. Erst im dritten Jahr führte eine örtliche Verlegung des Feldes zur Unterstützung durch eine Brauerei in Stralsund. Sie blieb die Ausnahme.
  • Mehr auf der Seite über Seltsamkeiten bei den Gentechnikkritiker_innen

Leseempfehlung: Gentechnik und Macht
Ein kleines Büchlein mit Texten und Zitaten zum Zusammenhang von Herrschaft und gentechnischer Manipulation an Nutztieren und -pflanzen. Im Mittelpunkt steht die Kritik an Saatgutkontrolle, Patenten und Ingenieursmethoden im Sozialen. Ebenso beleuchtet werden die spendenorientierten Strategien von Umweltverbänden, Grünen und anderen, die auf Herrschaftsanalyse und deshalb in gefährliche Argumentationen abrutschen. 64 S., quadratisch, 3 Euro, ISBN 978-3-86747-065-0 ++ bestellen!


Energiewende
Sich auf die Rolle als Konsument_in zu beschränken, hieße in der Energiepolitik, den eigenen Haushalt auf Ökostrom umzustellen. Das ist zwar wahrscheinlich eher nützlich als schädlich, aber vor allem belanglos. Bei richtiger Auswahl kann es Anbieter finanziell fördern (wie eine Art Spende), die damit neue, regenerative Energien aufbauen. Die meisten Ökostromanbieter tun nicht einmal das. Hätte sich das Engagement auch früher auf solche Konsumverhaltens-Strategien beschränkt, wäre es wohl nie zum Aus für die Atomkraft und zum Umbau der Energieversorgung auf Wind und Sonne gekommen. Hierfür viel wesentlicher war zum einen der Protest auf der Straße und Schiene, zum anderen war es der Aufbau und die Übernahme der Energieerzeugung. Brillantes Beispiel sind die Elektrizitätswerke Schönau (in ihrer regionalen Tätigkeit, weniger im - marktorientierten - bundesweiten Ökostromverkauf). In Schönau selbst ging nämlich das Stromverteilungsnetz in Bürger_innenhand über mit der Folge, dass die Menschen nun die Produktionsverhältnisse selbst steuerten. Nirgendwo verlief der Umbau so konsequent wie unter diesen veränderten Machtverhältnissen. Daraus kann leicht ersehen werden, wie wichtig die Frage ist, wie die Produktionsmittel organisiert sind.
Bei der Errichtung der meisten regenerativen Energieanlagen ist dieser Gedanke schnell verloren gegangen. Markt und Kapital dominieren dort das Geschehen mit der Folge, dass Windräder und Solargroßanlagen über die Köpfe der Menschen hinweg und von kapitalkräftigen oder -sammelnden Unternehmen gebaut werden. Die Sache ist zwar umweltverträglicher, aber ebenso herrschaftsförmig durchgezogen - mit Tendenz, Umwelt und Mensch immer weniger zu schonen, dafür immer mehr auf die Profitraten zu setzen. In der Selbstbeschränkung auf das Konsumverhalten ist jeglicher Einfluss auf die Energiewende längst verlorengegangen.

Im Original: Stromsparen ohne Effekt?
Aus einem Interview "Big Oil ist wieder da Warum das fossile Zeitalter noch nicht beendet ist" mit Heike Buchter, auf: ntv am 18.2.2024
Letztlich - und da sollten wir uns ehrlich machen - hängt die Zukunft, wie viel Öl noch gefördert wird, nicht von den Ölkonzernen ab, sondern maßgeblich von uns, den Konsumenten. Solange wir Öl nachfragen, ist den Ölfirmen nicht viel vorzuwerfen. Wir bestimmen.

Aus Oliver Geden, "Die Klimafront verläuft nicht im Alltag", in: SZ, 10.8.2008
Nur ein Beispiel: Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass Stromsparen im Haushalt zu einer Verminderung des CO2-Ausstoßes führen wird. Dem ist jedoch mitnichten so. Denn das EU-Ernissionshandelssystemist so konstruiert, dass das Gesamtvolumen der Emissionsberechtigungen, die von Kraftwerksbetreibern und energieintensiven Industriezweigen erworben werden müssen, schon auf Jahre hinaus festgelegt ist, mit stetig sinkender Tendenz. Eine verminderte Elektrizitätsnachfrage privater Haushalte ändert nichts an der Gesamtzahl der ohnehin knappen Zertifikate. Zwar kann durch privates Stromsparen zunächst der C02-Ausstoß eines nahegelegenen Kohle- oder Gaskraftwerks sinken, es ermöglicht den Kraftwerksbetreibern jedoch, die nun überschüssigen Zertifikate an der Strombörse zu verkaufen. Die Emissionen werden also lediglich verlagert, entweder auf andere Kraftwerke oder hin zu industriellen Großverbrauchern von Elektrizität. Je mehr die umweltbewussten Haushalte einsparen, desto mehr und demzufolge günstigere Zertifikate kommen auf den Markt. Davon profitieren vor allem energieintensive Industrien wie Stahl- und Aluminiumhütten, für die der Druck zur Anpassung ihrer Produktionsprozesse ein wenig abgemildert wird - was in volkswirtschaftlicher Hinsicht nicht das Schlechteste ist, für den klimabewussten Verbraucher aber sich nicht der Grund war, sich eine effizientere Waschmaschine zu kaufen. ...
Die Systemausschnitte für die möglichst positive Bewertung der eigenen Alltagspraxis werden so gewählt, dass der Vorreiter-Anspruch gewahrt und das Gewissen beruhigt bleibt. Vielen wird es genügen, nun nur noch "im Kleinen'' einen Unterschied zu machen. Hin und wieder das Auto stehen lassen. Flüge in Kombination mit den angebotenen Projekten zur CO2-Kompensation buchen: "Immer noch besser als nichts". Wer ein bisschen Geld in die Hand nimmt und sorgfältig plant, kann aber auch mit strategischen Kaufentscheidungen beträchtliche Distinktionsgewinne erzielen - mit einer Solaranlage auf dem Dach natürlich leichter als mit einer Modernisierung der im Keller versteckten Heizungsanlage. Und das neue Auto sollte nicht nur über einen Hybrid-Antrieb verfügen, sondern als solches auch deutlich zu erkennen sind. Der Anspruch ist schließlich, durch nachhaltigen Konsum den uneinsichtigen Mitbürgern ein gutes Beispiel zu sein. Misst man den Ansatz einer ökologisch ausgerichteten "Alltagspolitikfi aber an seinen eigenen Ansprüchen, so fällt die Bilanz der letzten 30 Jahre doch recht bescheiden aus. Nicht einmal Energiesparlampen und CO2-arme Autos haben sich bislang am Markt durchsetzen können. Auf die Energie- und Materialeffizienz von industriellen Produktionsprozessen haben Endverbraucher ohnehin keinen Einfluss.


  • Mehr auf der Seite über die Energiewende und ihre kapitalistischen Verirrungen und im Buch "Macht und Umwelt" (siehe unten)

Begrünung des Finanzsektors: "Grünes Geld"

Bioläden und Biolandbau
Sie sind inzwischen die Einkaufszentren mit besonders hohem Importanteil, mit Kameras, viel Plastikverpackungen und Niedriglöhnen. Genau das war zu erwarten - und lässt sich durch den Einkauf nicht steuern. Einkaufen in anonymen Marktstrukturen ist eine Blackbox, in die mensch sein Geld hineinwirft, aber die genaue Wirkung nicht kontrollieren, ja nicht einmal wissen kann.

Und mehr ...
Öko-Firlefanz
Die Contraste fand es für die Märzausgabe 2019 (S. 13) berichtenswert, dass eine Kleinfamilie in Leipzig ohne Kühlschrank lebt. Nicht dass das verkehrt wäre, aber ob das eine Meldung wert ist? Das sei dahingestellt, denn völlig ins Absurde zielt die Art, wie die kühlschrankfrei leben. Zitate aus dem Interview: "Wenn wir Besuch bekommen zum Beispiel und möchten ein kaltes Getränk anbieten, dann gehe ich hier unten um die Ecke in den Kiosk." Aha - und diese Art des Lebens sog. ohne Kühlschrank setzt sich fort. Die Antwort auf die Frage nach dem Verzicht auf Eiscreme lautet: "Das bringen manchmal Gäste mit. Oder wir können auch mal zu den Nachbarn gehen und sagen: Hej, wir haben gerade etwas, das gekühlt werden muss - können wir das bei euch in den Kühlschrank stellen?" Wohlgemerkt: Das Interview ist ernst gemeint.

SoLaWis als Werbeetikett für das ganz normale Gemüse-Abo?
Aus einem Interview mit der plantAge EG, die als SoLaWi bezeichnet wird und sich selbst auch so nennt - in: Contraste 3/2019 (S. 6)
Bei plantAge gibt es keine Bieterrunde. Genommen wir ein einheitlicher Preis für eine standard-vorgepackte Gemüsekiste.

Ein eindringlicher Appell ... Rede eines Mädchens auf der UNO-Umweltkonferenz - natürlich wirkungslos!

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