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EINSCHRÄNKUNGEN DES DEMORECHTS: VERBOTE, AUFLAGEN, STRAFEN

Was Polizei und Versammlungsbehörden dürfen - und was nicht ...


1. Überblick über Demorechtbeschränkungen
2. Versammlungen verbieten oder auflösen
3. Was Polizei und Versammlungsbehörden dürfen - und was nicht ...
4. Polizeiattacken auf Versammlungen
5. Strafandrohungen und -verfahren
6. Kritik an Einschränkungen
7. Verwaltungsklagen gegen Verbote und Auflagen
8. Links zu Infoseiten zum Demorecht

Wie bereits geschildert, ist das Schlüpfen unter das Dach des Versammlungsrecht sehr einfach möglich. Für die Polizei ändert sich damit so einiges ...

Polizeirecht außer Gefecht: Versammlungsrecht bricht übliche Polizeibefugnisse
Das Wichtigste und für viele Überraschendste vorweg: Alles, was die Polizei aufgrund der für ihr Handeln geltenden Polizeigesetze üblicherweise immer macht, ist auf Versammlungen nicht zulässig. Denn da sich das Versammlungsrecht direkt aus dem Grundgesetz ableitet, steht es über dem Polizeirecht, also den Gesetzen zur Abwehr von Gefahren. Will heißen: Platzverweise gibt es auf Versammlungen bzw. für Versammlungsteilnehmer*innen nicht. Sie heben sich sogar nachträglich auf, wenn z.B. Betroffene von Platzverweisen gegen diese eine Versammlung durchführen. Auch Taschen- oder Personalienkontrollen nach allgemeinem Gefahrenabwehrrecht sind nicht mehr zulässig. Weiterhin möglich sind sie z.B. nach Strafrecht (das hat den gleichen Rang) und - natürlich - nach Versammlungsrecht. Denn die Versammlungsgesetze hebeln nicht nur allerhand Gesetze aus, sondern sie schaffen auch neue Ge- und Verbote. Es hat also Vor- und Nachteile, eine Versammlung zu sein.

Aus: OLG Braunschweig 2. Zivilsenat am 20.10.2006, Az. 2 W 93/06
Das Landgericht hat in jeder Hinsicht zutreffend entschieden, dass die Regelungen des Versammlungsgesetzes als echtes Spezialgesetz die subsidiäre Anwendung polizeirechtlicher Generalermächtigungen und damit auch das Nds. SOG ausschließen (ebenso: BverfG NVwZ 2005, 80, 81; BVerwG NVwZ 1988, 250, 251; OVG Münster NVwZ 2001, 1315f.; Schlesw. Holst VG, 22.02.2005, 3 A 338/01)). Die in Betracht kommenden Eingriffsermächtigungen können ausschließlich dem Versammlungsgesetz entnommen werden, weil dieses eine umfassende bundesgesetzliche Ordnung des Versammlungswesens enthält, das nach Maßgabe der Artt 70, 72 GG landesrechtliche Regelungen ausschließt.



Dass kein Polizeirecht auf Versammlungen anwendbar ist, führt unter anderem dazu, dass Platzverweise nicht möglich sind, solange eine Versammlung existiert. Sie auszusprechen, wäre rechtswidrig und ein illegaler (eigentlich sogar: strafbarer) Angriff auf eine Demonstration.

Aus "Platzverweise waren rechtswidrig", in: Stuttgarter Nachrichten, 13.6.2014
Bei dem Protest am 25. Januar 2011 waren Baufahrzeuge daran gehindert worden, auf das Gelände zu fahren. Nach Auffassung des Gerichts diente das von der Polizei als „Verhinderungsblockade“ angesehene Blockadefrühstück vor dem Nordausgang des Hauptbahnhofs in erster Linie dem Protest gegen das Milliardenprojekt und damit der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit. Damit habe es sich bei dieser Aktion um eine Versammlung gehandelt, die unter die verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit falle.
„Maßnahmen aufgrund des allgemeinen Polizeirechts - wie die Platzverweise - waren deshalb erst nach ausdrücklicher Auflösung der Versammlung zulässig“, heißt es zur Begründung der Entscheidung. Eine solche ausdrückliche Auflösung habe vor der Erteilung der Platzverweise jedoch nicht stattgefunden, urteilte die Kammer und folgte somit der Argumentation der Kläger.
Zwar sei die Versammlung durch die Einkesselung der Gegner von der Polizei beendet worden. „Dies stellte jedoch keine ausdrückliche Auflösung der Versammlung dar“, erklärte das Gericht weiter.


Unfriedliche Versammlungen und Straftaten auf Demos
BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01
Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93 und 1 BvR 433/96 -, BVerfGE104, 92 [105 f.] = juris Rn. 47; [Kammer-] Beschluss vom 7. März 2011 - 1 BvR 388/05 -, BVerfGK 18, 365 [373] = juris Rn. 33 m.w.W.). Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt oder in Kauf genommen.
Insoweit ohne Bedeutung ist, ob das Verhalten der Blockierer strafrechtlich als Gewalt im Sinne von § 240 StGB einzuordnen ist. Denn für die Begrenzung des Schutzbereichs des Art. 8 GG ist allein der verfassungsrechtliche Begriff der Unfriedlichkeit maßgebend, nicht der umfassendere Gewaltbegriff des § 240 StGB.

Polizeigewalt
Aus Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts (3. Auflage, 2001)
... dazu gehört auch, daß Aggressionsanreize vermieden werden (martialisches Auftreten mit Helm, Schild und Schlagstock; geschwärzte Gesichter von SEK-Beamten; Tiefflug von Hubschraubern über Demonstranten). Werden technische Mittel (Wasserwerfer, Reizgas) eingesetzt, agiert die Polizei auf hohem Eskalationsniveau. Das Problem der Gewalttätigkeit bei Demonstrationen läßt sich nicht mit technischen Mitteln lösen. ... Wer aber als für solche Einsätze Verantwortlicher auf eine technische Lösung und die mit ihr einhergehende "Sozialisation" durch Schlagstock, Tränengas und Wasserwerfer setzt darf sich nicht wundern, wenn es beim "Dialog" mit Stein und Schleudern bleibt. (S. 682)

Eine bedeutende Verzahnung von Gesetzen gibt es bei direktem Polizeizwang oder Polizeigewalt noch dann, wenn mensch der Polizei nicht folgt, sondern sich wehrt, ohne dabei tätlich anzugreifen. Letzteres ist dann der Fall, wenn mensch in Richtung der Polizei agiert, also in diese Richtung schlägt, schubst, sich bewegend entgegenstemmt usw. (§ 114 StGB). Wer sich aber nur irgendwo anklammert, schwer macht, nicht wegschubsen lässt, sich in einer andere Richtung als auf den Uniformierten zu wegdreht, begeht nur den normalen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB). Dieser ist nicht strafbar, wenn die Polizei rechtswidrig handelt, also z.B. einen Platzverweis trotz Demoteilnahme erteilt. Das gilt dann theoretisch für alle in der Demo, denn jeder Einzelausschluss schwächt ja die Demo insgesamt. Oder wenn die Polizei unrechtmäßig filmt, durchsucht, kontrolliert, kesselt ... Praktisch hilft die Straffreiheit zwar vor Ort oft nicht, denn die Cops interessiert das Gesetz mitunter wenig. Aber vor Gericht gibt es eine realistische Chance auf Freispruch oder Einstellung ohne Auflagen, wenn der Nachweis gelingt, dass die Polizei Rechtsfehler gemacht hat.

Direkter Polizeizwang gegen Demonstration und Demoteilnehmer*innen
Nach Polizeirecht oder anderen, unter dem Versammlungsrecht stehenden Gesetzen und Verordnungen kann die Polizei nur vorgehen, wenn sie die betreffende Person vorher nach Versammlungsrecht auf der Versammlung ausschließt. Wird die ganze Demo aufgelöst, unterstehen alle ehemaligen Teilnehmer*innen wieder den "normalen" Gesetzen - bis sie eine neue Versammlung starten. Sie müssen sich nach Versammlungsgesetz aber erstmal vom Ort der aufgelösten Demo entfernen. Also ein paar Schritte ... und dann gilt wieder Demorecht. Wenn es nützt, sonst halt so verhalten, dass es keine Demo mehr wird/ist.

Aus: OVG des Saarlandes 1. Senat, am 27.10.1988, Az: 1 R 169/86

  1. Vor der Anwendung unmittelbaren polizeilichen Zwangs zur Auflösung einer Versammlung bedarf es einer vorherigen Auflösungserklärung.
  2. Zur wirksamen Versammlungsauflösung nach §15 VersammlG steht der Polizei jede Erklärungsform - etwa Lautsprechereinsatz, Verwendung von Textschildern und Textbändern - zur Verfügung mit Ausnahme des unmittelbaren Polizeizwangs.

Aus: OLG Braunschweig 2. Zivilsenat am 20.10.2006, Az. 2 W 93/06
Vorliegend war daher nicht zu entscheiden, ob nach § 18 Nds. SOG überhaupt die Ingewahrsamnahme einer Personen erfolgen darf, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von dieser die Begehung einer Straftat oder einer erheblichen Ordnungswidrigkeit zu befürchten ist

Aus: LG Hamburg 3. Zivilkammer am 6.3.1987, Az: 3 0 229/86

  1. Für eine Gewahrsamnahme und ldentitätsteststellung der Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung enthält das VersammlG keine Rechtsgrundlage.
  2. Zum Schmerzensgeldanspruch wegen polizeilicher Freiheitsentziehung und Gewahrsamnahme bei einer unangemeldeten Demonstration.

Aus: OVG Bremen 1. Senat am 4.11.1986, Az: 1 BA 15/86

  1. Eine Demonstrantin, die mit einem Polizeifahrzeug an eine 11 km vom Demonstrationsort entfernte Stelle gebracht und dort freigelassen wird, hat ein berechtigtes Feststellungsinteresse in Form des Rehabilitationsinteresses.
  2. Polizeiliche Maßnahmen gegen die Teilnahme einer Sitzblockade, mit der gegen die Stationierung von Atomraketen in der Bundesrepublik protestiert werden soll, können nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden.
  3. Offen bleibt, ob es nach Auflösung einer Sitzblockade einer neuen Auflösungsverfügung bedarf, wenn eine neue Sitzblockade an einer 450m entfernten Absperrlinie stattfindet.
  4. Ein Platzverweis, der gegen die Teilnehmer einer Sitzblockade verfügt wird, ist rechtswidrig, falls die Sitzblockade nicht zuvor auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes aufgelöst worden ist.
  5. Offen bleibt, ob die Ingewahrsamnahme immer das Verbringen des Betroffenen in einen Haftraum voraussetzt oder ob zum Beispiel platzverwiesene Demonstranten auch mit einem Polizeifahrzeug an eine vom Demonstrationsort entfernt gelegene Stelle transportiert und erst dort wieder freigelassen werden dürfen.

Aus: OLG Karlsruhe 3. Strafsenat am 19.6.1974, Az. 3 Ss (B) 5/74
Gegen Teilnehmer eines als friedlich geplanten und begonnenen, waffenlosen Aufzugs kann nur dann nach StrRG 3 Art. 2 vorgegangen werden, wenn der Aufzug vorher vom Versammlungsleiter beendet (VersammlG § 19 Abs. 3) oder von der zuständigen Behörde (VersammlG § 15 Abs. 2) aufgelöst wurde. Die Auflösungserklärung nach VersammlG § 15 Abs. 2 und die erste Aufforderung zum Auseinandergehen nach StrRG 3 Art. 2 müssen voneinander getrennt abgegeben werden, wobei die Aufforderung nicht nur logisch, sondern auch zeitlich erkennbar abgesetzt der Auflösung des Aufzugs nachzufolgen hat.

Aus BVerfG 1. Senat 1. Kammer am 19.7.1993, Az: 1 BvR 340/91

  1. Mit GG Art 8 ist es unvereinbar, wenn die Strafgerichte die Weigerung, sich unverzüglich von einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, ohne Rücksicht darauf, ob die Auflösung rechtmäßig war, gem. § 29 Abs 1 Nr 2 VersammlG ahnden.
  2. Beschränkt sich ein Gericht nur auf die Wiedergabe der Auflösungsverfügung und die Feststellung, daß der Versammlungsteilnehmer diese wahrgenommen und sich gleichwohl nicht unverzüglich vom Versammlungsort entfernt habe, ohne Feststellungen über die Anordnung der Auflösung zu treffen, so verkennt es Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Versammlungsfreiheit.

Aus: BVerfG, 1 BvR 1726/01 vom 26.10.2004
a) Das Landgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sich als Teilnehmer einer Versammlung auf den Schutz des Art. 8 GG berufen konnte.
aa) Versammlung im Sinne des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl.BVerfGE 104, 92 (104) ). Danach war das Zusammentreffen des Beschwerdeführers und weiterer Personen auf dem Karlsplatz eine Versammlung. Nach den gerichtlichen Feststellungen hielten sich der Beschwerdeführer und andere Personen in Sichtweite des Informationsstandes der NPD auf. Sie hatten sich zusammengefunden, um gegen den Informationstand der NPD auf dem Karlsplatz zu protestieren. Entgegen der rechtlichen Würdigung des Landgerichts war daher nicht nur eine bloße Ansammlung von Personen gegeben.
bb) Der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers nach Art. 8 Abs. 1 GG scheidet hier nicht schon wegen fehlender Friedlichkeit und Waffenlosigkeit der Versammlungsteilnehmer aus. Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit durch aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden (vgl.BVerfGE 104, 92 (105 f.)). Für einen unfriedlichen Verlauf der Versammlung in diesem Sinn war vorliegend nichts ersichtlich.
cc) Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob die Versammlung nach § 14 VersG hätte angemeldet werden müssen.
Da das Landgericht die Anwendbarkeit des Art. 8 GG verkannt hat, ist nicht geprüft worden, ob die versammlungsrechtlichen Voraussetzungen der Durchführung einer Versammlung erfüllt waren. Insbesondere hat das Landgericht nicht geklärt, ob die Versammlung als so genannte Spontanversammlung einzuordnen war. Versammlungsrechtliche Vorschriften über die Anmeldepflicht nach § 14 VersG sind auf die Spontanversammlung nicht anwendbar, soweit der mit der Spontanveranstaltung verfolgte Zweck bei Einhaltung dieser Vorschrift nicht erreicht werden könnte (vgl.BVerfGE 69, 315 (350 f.); 85, 69 (74 f.) ). Aber auch wenn die Versammlung nicht als Spontanversammlung zu bewerten wäre, würde aus dem Verstoß gegen die Anmeldepflicht lediglich folgen, dass die Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG in Betracht kam (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 13. Aufl., 2004, § 15 Rn. 68 m.w.N.). Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen der Behörde. Bis zu einer wirksamen Auflösung besteht der versammlungsrechtliche Schutz fort.


b) Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt das Teilnahmerecht der Versammlungsteilnehmer. Erst nach Auflösung der Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersG oder nach versammlungsrechtlich begründetem Ausschluss des Teilnehmers aus der Versammlung kommt ein Platzverweis nach Polizeirecht in Betracht, an den sich eine Ingewahrsamnahme anschließen kann.
aa) Art. 8 GG erlaubt Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel nur nach Maßgabe des Absatzes 2. Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich dementsprechend nach dem Versammlungsgesetz (vgl. BVerwG, NVwZ 1988, S. 250; OVG Bremen, StV 1987, S. 115). Seine im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Dementsprechend geht das Versammlungsgesetz als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerwGE 82, 34 (38); VGH Mannheim, DVBl 1998, S. 837 (839)). Ein auf allgemeines Polizeirecht - hier Art. 16 PAG - gegründeter Platzverweis scheidet deshalb aus, solange sich eine Person in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann (vgl. Schmidbauer/Steiner/Roese, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz und Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz, 1999, Art. 16 PAG Rn. 32). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.
bb) Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass der Schutz des Versammlungsrechts für den Beschwerdeführer ausschied. Auf Versammlungsrecht konnte weder eine Auflösung der Versammlung noch ein Ausschluss des Beschwerdeführers gestützt werden.


(1) Auflösung ist die Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen. Verbot und Auflösung einer Versammlung stellen die intensivsten Eingriffe in das Grundrecht dar (vgl.BVerfGE 87, 399 (409) ). Der Schutz der Versammlungsfreiheit erfordert, dass die Auflösungsverfügung, deren Nichtbefolgung nach § 26 VersG strafbewehrt ist, eindeutig und nicht missverständlich formuliert ist und für die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Versammlung aufgelöst ist. Adressaten sind alle Versammlungsbeteiligten (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 Rn. 58 f. m.w.N.). Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass eine Auflösungsverfügung ergangen ist. In der von ihm erwähnten Aufforderung an den Beschwerdeführer, den Platz zu verlassen, liegt keine Auflösung der Versammlung insgesamt.

(2) Auch ein Ausschluss des Beschwerdeführers war versammlungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
(a) Der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers ist ein belastender Verwaltungsakt, durch den dem Betroffenen verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 18 Rn. 32). Damit endet der versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 18 Rn. 36). Ein Ausschluss von Teilnehmern an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ist insbesondere in § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 4 VersG vorgesehen, wenn sie die Ordnung der Versammlung gröblich stören.
(b) Die Ausschlussverfügung muss ebenso wie eine Auflösung hinreichend bestimmt sein. Dem Versammlungsteilnehmer muss unvermissverständlich bedeutet werden, dass gerade er mit dem Ausschluss gemeint ist. Es kann dahinstehen, ob die an den Beschwerdeführer gerichtete Verfügung diesen Inhalt haben konnte, obwohl die Behörde gar nicht vom Vorliegen einer Versammlung ausging. Jedenfalls waren die versammlungsrechtlichen Voraussetzungen einer Ausschlussverfügung offensichtlich nicht gegeben.
Auf eine gröbliche Störung der Versammlung nach § 18 Abs. 3 VersG konnte der Polizeibeamte sich nicht berufen, da der Beschwerdeführer sich in Übereinstimmung mit dem Zweck der von ihm mitinitiierten Versammlung verhielt. Auf eine Störung der Versammlung selbst hat der Beamte sich auch nicht berufen. Im Übrigen lag eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht vor.
Im Gerichtsverfahren wurde zur Begründung für das Vorliegen einer Gefahr im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in der Demonstrationsszene einschlägig bekannt und als Mitglied der PDS der linksextremistischen Szene zuzuordnen. Er habe in der Woche zuvor bereits eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung der NPD verbal gestört. Er habe nach Beendigung dieser Versammlung den Abmarsch mit anderen Versammlungsteilnehmern und die Abfahrt des Lautsprecherfahrzeugs der NPD verhindern wollen. Eine nähere Begründung dafür, warum der nicht vorbestrafte Beschwerdeführer bei einer weiteren Teilnahme an der Versammlung Straftaten begehen würde und um welche es sich handeln könnte, enthalten die gerichtlichen Entscheidungen nicht. Das Landgericht nimmt lediglich allgemein und ohne Bezug auf den Beschwerdeführer an, dass beim Vorrücken der Menschenmenge gegen den Informationsstand wechselseitige Beleidigungen der politischen Gegner und Körperverletzungen drohten. Es fehlen zudem Ausführungen dazu, warum der Beschwerdeführer sich solche Straftaten Dritter hätte zurechnen lassen müssen.
Ebenso fehlen Ausführungen dazu, warum im Falle einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die Veranstaltung der NPD keine milderen Mittel verfügbar waren. Den Versammlungsteilnehmern hätte beispielsweise durch polizeiliche Verfügung aufgegeben werden können, ausreichenden Abstand zum Informationsstand der NPD einzuhalten, mit der Folge, dass beide Veranstaltungen hätten durchgeführt werden können. Hätte der Beschwerdeführer sich an eine solche Verfügung nicht gehalten, wären weitere Maßnahmen gegen ihn zulässig gewesen.


cc) Die Feststellungen des Landgerichts genügen den aus Art. 8 GG gegebenen Vorgaben nicht. Da das Versammlungsrecht auf Maßnahmen gegenüber dem Beschwerdeführer mangels Auflösung der Versammlung oder seines rechtmäßigen Ausschlusses aus ihr weiterhin anwendbar war, konnte ein Platzverweis nicht auf Art. 16 PAG gestützt werden. Seine Rechtmäßigkeit ist aber eine Voraussetzung für eine Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG (vgl. Schmidbauer/Steiner/Roese, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz und Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz, 1999, Art. 17 PAG Rn. 61). Damit war auch diese rechtswidrig. Da der Beschwerdeführer an der weiteren Teilnahme an der Versammlung gehindert war, stellte die Ingewahrsamnahme einen Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG dar.

2. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 8 GG ergebenden Vorgaben zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Die Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93 c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG).

  • Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig zur Rechtswidrigkeit von Festnahmen u.ä., solange Demonstrationsrecht gilt - und Klarstellung, dass eine Kesselung definitiv nie die Auflösung einer Demonstration darstellt (als PDF)

Videoüberwachung
Das Verwaltungsgericht Münster hat am 21.8.2009 die polizeiliche Videobeobachtung einer Demonstration im Juni 2008 gegen Urantransporte für rechtswidrig erklärt. Schon die "bloße Aufnahme" des Demogeschehens sei ein rechtswidriger Grundrechtseingriff. Das gelte auch, wenn die Polizei-Kamera die Bilder - ohne Speicherung - "nur" auf einen Monitor übertrage, erklärte die Richterin in der mündlichen Verhandlung. Die Anti-Atom-Initiativen im Münsterland sind über das Urteil sehr erfreut, weil es die Rechte von Demonstrationsanmeldern und Versammlungsteilnehmern gegenüber der Polizei klar stärkt. Mehr ...
  • Vermummungsverbot - auch bei Theatergruppen mit Kostümierung? Freispruch für einen Weihnachtsmann (Göttingen, Mai 2007)

Polizist*innen in der Versammlung
Auf einer Versammlung per Lautsprecher durchzusagen „Bullen raus aus der Versammlung!“ ist kein Verstoß gegen Versammlungsauflagen.

Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts und das Urteil mit Aktenzeichen: - 1 BvR 2135/09
In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die körperliche Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen. Wer an einer solchen Versammlung teilnimmt, ist grundsätzlich auch dazu berechtigt, während der Versammlung dafür einzutreten, dass nur die das Anliegen der Versammlung unterstützenden Personen an ihr teilnehmen und Polizisten sich außerhalb des Aufzugs bewegen.

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