Gender-Trouble

DIE RECHTLICHEN HINTERGRÜNDE ZUM § 265A
KEINE STRAFE FÜR OFFENES "SCHWARZFAHREN"

Wann auch Hausfriedensbruch nicht gilt


1. Das Gesetz und seine Auslegung
2. Der Argumentationsstrang zur Straffreiheit beim gekennzeichneten "Schwarzfahren"
3. Wann auch Hausfriedensbruch nicht gilt
4. Fazit: Das formal richtige Verhalten
5. Was bleibt? 60 Euro und eventueller Rauswurf
6. Links und Materialien

Spätestens seit dem Urteil des Landgerichts Braunschweig am 15.9.2015 ist klar: Viele Gerichte geben sich in Sachen § 265a geschlagen - aber einige eröffnen einen neuen Kampf. Denn Verurteilen und den Kapitalinteressen dienen, ist nun mal ihr Auftrag. Daher hat sich das Gericht in Braunschweig eine neue Idee einfallen lassen - und nach Hausfriedensbruch verurteilt. So dumm ist die Überlegung nicht, wie der Wortlauf des Paragraphen zeigt:
(1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.

Eigentlich ist das schon von Vornherein unsinnig. Denn es gibt keinen entgegenstehenden Willen. Vielmehr enthalten die Beförderungsbestimmungen ja bereits eine Formulierung, was mit einer_m "Schwarzfahrer_in" geschehen soll - und das ist nicht der Rauswurf, sondern eine Beförderung. Daher:Es gibt auch hier einen Ausweg. Denn laut dem oben genannten Gesetz ist nur das "widerrechtliche Eindringen" oder, wenn mensch"auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt" strafbar.
Einfach abzuhandeln ist der zweite Fall. Kommt eine berechtigte Person (Schaffner_in könnte das schon sein, ob Kontrolleur_innen das auch sind, ist vielleicht schon zweifelhaft) und fordert zum Verlassen des Fahrzeugs auf, so muss mensch (bei der nächsten Gelegenheit) gehen. Oft kommt aber niemand. Sollte das doch geschehen, wird mensch trotzdem meistnicht zum Verlassen aufgefordert, sondern erhält ein Ticket mit erhöhtem Beförderungsentgelt. Dann entsteht auch kein Hausfriedensbruch, stattdessen wird er sogar explizit aufgehoben, weil mensch ja nun offiziell geduldet ist - auch nachträglich (denn das erhöhte Fahrentgelt gilt immer für die mutmaßliche Gesamtmitfahrstrecke). Da das Nicht-Rauswerfen und Ausstellen der Fahrkarte mit erhöhtem Fahrpreis regelmäßig passiert, darf es sogar als sozial üblich gelten, in einem Fahrzeug auch ohne Fahrschein geduldet zu sein. Denn wer erwischt wird und seine Personalien vorzeigt, fliegt regelmäßig nicht raus. Das ist bereits ein Teil des Argumentationsstrangs, warum auch das "Eindringen" nicht die Tatbestandsmerkmale des Hausfriedensbruchs erfüllt.
Ganz so eindeutig und die Strafbarkeit des sog. "Schwarzfahrens" nach §123 StGB ausschließend ist die Lage beim "Eindringen" aber nicht. Es gibt drei Aspekte, warum das Einsteigen (und nur auf diesen kurzen Moment des Durchschreitens der, meist offenen, Tür kommt es an!) nicht nach dem Hausfriedensbruch-Paragraphen strafbar ist.

  • Der erste ist oben genannt: Weil mensch nach dem "Erwisch-twerden" meist mit Nachlöse- oder Erhöhter-Fahrpreisticket im Zug bleiben kann, ist auch kein Wille ableitbar, dass mensch nicht hätte einsteigen dürfen. Denn die Erfahrung, auch als "Schwarzfahrer_in", Ticket-Vergesser_in usw. im Zug bleiben zu dürfen, bildet den Rahmen dafür, einzusteigen.
    Auch der Gesetzestext zeigt, dass ein Ausschluss von der Beförderung nur erfolgen "kann" (aus der Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) § 9, Abs. 4): "Ein Reisender, der keinen Fahrausweis besitzt oder den Verpflichtungen nach Absatz 3 nicht nachkommt, kann von der Weiterfahrt ausgeschlossen werden. Die Pflicht zur Zahlung eines erhöhten Fahrpreises nach § 12 bleibt unberührt."
  • Laut Kommentaren muss das Eindringen selbstbereits nach außen sichtbar die Widerrechtlichkeit in sich tragen. Es reicht nicht ein (vermutetes) Vorhaben für einen späteren Zeitpunkt. Wer beim Einsteigen noch nicht als "Schwarzfahrer_in" erkennbar ist, begeht danach keinen Hausfriedensbruch. Fährt der Zug dann an, entsteht Hausfriedensbruch auch nicht allein dadurch, da das "Eindringen" bereits abgeschlossen ist und da, wo es geschah, noch nicht strafbar war.
    Kommentierung bei Fischer zu § 123 StGB, Rdnr. 17: "Eine generelle Eintrittserlaubnis Eine generelle Eintrittserlaubnis (insb. für Geschaftsräume) kann im Hinblick auf den Schutzzweck des § 123 grds. nicht "konkludent" mit der Bedingung verbunden werden, sich nach dem Eintritt in bestimmter Weise zu verhalten."
    Wenn der Wille, sich später gegen den Willen des Hausrechtsinhabers zu verhalten, nicht sichtbar ist beim Betreten eines grundsätzlich zugänglichen Raumes, dann ist es auch kein Hausfriedensbruch.
    Dazu Wikipedia unter "Hausfriedensbruch": "Ein Einverständnis des berechtigten Hausrechtsinhabers schließt bereits den Tatbestand aus. Eine generelle Zutrittserlaubnis, bei Gebäuden mit Publikumsandrang (z. B. Kaufhaus) genügt hierzu. Umstritten ist einerseits, inwieweit sich der Dieb, der das Kaufhaus zum Stehlen betritt, nach §?123 StGB strafbar macht. Hierbei ist darauf abzustellen, wie sich der Dieb nach außen hin verhält. Sofern er sich neutral verhält und ein Dritter nicht erkennen kann, dass er etwas stehlen will, unterfällt auch er dem Einverständnis. Eine Hausordnung mit dem Passus "Die generelle Zutrittserlaubnis gilt nicht für Personen mit deliktischen Absichten" ist unbeachtlich, da sich die Bedingung an einen zu generellen Personenkreis richtet. Allerdings ist ein individuelles Hausverbot beachtlich.
    Auch kann das Einverständnis von äußerlich erkennbaren Bedingungen abhängig gemacht werden, wie z. B. dem Vorzeigen einer Kinokarte.
    Sofern der Täter ein Einverständnis mit Hilfe von Täuschungen erlangt hat, ist dies generell unbeachtlich, da es nur auf den Willen des Hausrechtsinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung des Einverständnis ankommt.
    "
    Ergänzend bei Wikipedia unter "Ladendiebstahl": "Der Ladendiebstahl ist kein eigenständiger Tatbestand des Strafrechts, sondern eine kriminologische Bezeichnung für das Vergehen des Diebstahls. Dazu tritt tateinheitlich ein Hausfriedensbruch, sofern der Dieb erkennbar in der Absicht zu stehlen das Geschäftslokal betritt. An der Erkennbarkeit fehlt es aber in der Regel, da kein Dieb in der Weise einen Laden betritt, indem er zum Ausdruck bringt, er habe vor, einen Diebstahl in diesem Geschäft zu begehen, wenn er z. B. eine Diebesschürze mitführt."
  • Zum Zeitpunkt des Einsteigens fährt ein_e spätere_r "Schwarzfahrer_in"noch nicht, erschleicht also auch keine Leistung. Wenn aber während des "Eindringens" wegen des Stillstandes von Bus oder Bahn noch gar keineBeförderungsleistung erbracht wird, kanndas Einsteigen ohne Fahrkarte selbst keinen Hausfriedensbruch darstellen, da das "Schwarzfahren" als dem Willen des Hausrechtinhabers entgegenstehende Handlung hier noch gar nicht möglich ist.
    Das ergibt sich auch daraus, dass in einem solchen Fall auch alle Personen, die anderen Personen beim Einsteigen helfen, deren Gepäck ins Fahrzeug tragen, ihren Fahrschein vergessen haben oder im Beförderungsmittel nachlösen wollen, Hausfriedensbruch begehen würden, wenn allein das Nichtbesitzen einer Fahrkarte schon reichen würde.
    Aus OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.02.2010 - 1 Ss 425/08: "Vollendet ist die Tat mit dem Beginn der Beförderungsleistung (vgl. Schönke-Schröder, StGB, § 265 a, Rdnr. 13; Fischer, aaO., Rdnr. 28). Auszuscheiden sind dabei Fälle, in denen nach der Verkehrsauffassung eine ‚Beförderung' noch gar nicht vorliegt (z.B. Abbruch der Fahrt oder Entdeckung des Täters nach wenigen Metern), in denen auch ein nicht erschleichender Fahrgast eine entgeltspflichtige Leistung nicht erlangt hätte (vgl. Fischer, aaO., Rdnr. 28)."

Hinweise darauf, dass ein Hausfriedensbruch nicht in Frage kommt, geben auch Urteile, dass Hausverbote nicht zulässig wären gegenüber Personen, die mit Bussen oder Bahnhen fahren wollen.
Lenckner/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Auflage 2010, § 123 StGB, Rn. 20
Nur eine beschränkte Dispositionsbefugnis besteht auch bei den zum öffentlichen Dienst usw bestimmten Räumen. Einschränkungen des Hausrechts können sich hier schon aus gesetzlichen Vorschriften ergeben: ... Bereits gesetzliche Beschränkungen des Hausrechts enthalten ferner zB § 22 PersonenbeförderungsG, § 10 Allgemeines EisenbahnG idF von 1993, weshalb einem Reisewilligen das Betreten des Bahnhofs nur untersagt werden kann, wenn ihm gegenüber keine Beförderungspflicht besteht, wobei auch nach der Privatisierung der Bahn aus deren Beförderungspflicht die Zutrittserlaubnis zu Gebäuden usw folgt, die von Eisenbahninfrastrukturunternehmen iSv §§ 2 I, 3 Nr. 1 AEG betrieben werden: Hamburg NStZ 05, 276, Fischer 12, L-Kühl 8, Lilie LK 26, Schäfer MK 23; eine Verpflichtung, entsprechende Räume für die Kommunikation Nichtreisender zur Verfügung zu stellen, besteht nicht (Nachw. zur Reichweite von Bahnhofsverboten: 26. A. 20).

Rackow in: Beck'scher Online-Kommentar StGB, Hrsg: von Heintschel-Heinegg, Stand: 01.05.2011, § 123 StGB, Rn. 18.3.
Öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen nehmen ihre Hausrechte wie Private wahr (OLG Hamburg NStZ 2005, 276; LK/Lilie § 123 Rn 26), doch kann im Hinblick auf die Beförderungspflicht (§ 3 EVO) ein Bahnhofsverbot nicht zur Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs führen, wenn der Betreffende die geschützten Räumlichkeiten zu Reisezwecken betritt (Köln VRS 90 [1996], 115; BayObLG NJW 1977, 261; LK/Lilie § 123 Rn 26; Fischer StGB § 123 Rn 22; Lackner/Kühl StGB § 123 Rn 8; MünchKommStGB/Schäfer StGB § 123 Rn 23); problematisch daher OLG Hamburg NStZ 2005, 276: bei Bahnhofsverboten sei (nur) "im Allgemeinen" das Betreten zu Reisezwecken ausgenommen.

Auch im Buch "Garantiert nicht strafbar" der beiden Rechtsanwalte Stevens und Lucas finden sich im Kapital zu Hausfriedensbruch sehr eindeutige Formulierungen, die auf das Schild "Zutritt nur mit gültigem Fahrausweis" perfekt übertragbar sind. Die Zusammenfassung macht deutlich: Gerade wer noch ohne Schwarzfahrschild einsteigt (aber dann vor der Abfahrt selbiges umhängt und zu flyern beginnt), entgeht beiden Strafparagraphen (Leistungserschleichung und Hausfriedensbruch). Das zusammenfassende Zitat im Buch lautet: "Erweckt jemand den Eindruck eines "ordnungsgemäßen Benutzers", liegt ein Hausfriedensbruch nur vor, wenn zuvor ein individuelles Hausverbot erteilt worden ist." Das gesamte Kapitel zählt etliche Beispielfälle auf - wie im gesamten Buch in einer mackerig-sexistischen Sprache, aber immerhin mit dem Versuch, eine gendergerechte Sprache zu finden, was aber reichlich misslingt (Millionär - Millionärsgattin).

Im Original: Auszüge aus "Garantiert nicht strafbar"
Aus dem Kapitel "Du kommst hier nicht rein - völlig strafloser Hausfriedensbruch" von Alexander Stevens (S. 83ff)
Wo bei privaten Räumlichkeiten für Fremde ein generelles Betretungsverbot herrscht, fordern Restaurants und Geschäfte geradezu zum Eintritt auf. Und genau deswegen gilt für öffentlich zugängliche Räumlichkeiten grundsätzlich einmal auch eine generelle Zutrittserlaubnis. Schließlich weiß ja auch der Laden- oder Geschäftsinhaber zu dem Zeitpunkt, in dem ein Mensch seine Räumlichkeiten betritt, nicht, ob es sich um einen zahlungskräftigen oder kaufunwilligen Kunden handelt. Und wenn dem Laden- oder Geschäftsinhaber der herumlungernde Kunde nicht passt, kann er ihn immer noch auffordern, seine Räumlichkeiten zu verlassen. Oder ihn gleich vor dem Betreten aussieben, durch einen Türsteher zum Beispiel.
Genau deshalb liegt auch kein Hausfriedensbruch vor, wenn jemand ohne konkrete Kaufabsicht oder sogar zu völlig geschäftsfremden Zwecken einen öffentlich zugänglichen Laden betritt. Denn solche Geschäftsräume laden schließlich genau hierzu ein. Und solange kein entgegenstehender Wille klar und ausdrücklich kommuniziert wird, muss ein Ladenbesitzer oder Geschäftsherr eben diejenigen persönlich seines Hauses verweisen, die er nicht dahaben möchte. …
Wie immer gibt es da noch ein ABER: Denn die generelle Zutrittserlaubnis von potenziellen Kunden zu öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten findet ihre Grenze, wenn offensichtlich und äußerlich erkennbar wird, dass man den Besucher nicht in seinen Räumen haben möchte. Extremes Beispiel: Wenn ein maskierter Kassenräuber den Laden oder das Geschäft betritt. Einen Räuber möchte man nämlich unter keinen Umständen im Laden haben. In solchen Fällen ist die generelle Zutrittserlaubnis von vornherein widerrufen. …
Und um dabei gleich noch mit einem anderen Mythos aufzuräumen: Wenn an der Eingangstür Aufkleber mit skurrilen Verboten wie Handy-, Eis-, Hunde- oder gar Pokemonverbot angebracht sind, haben sie - abgesehen davon, dass sie potenzielle Kunden abschrecken mögen - strafrechtlich keinerlei Bedeutung. Zwar wird rein formal der Zutritt ausdrücklich verboten, das Verbot aber durch die faktische Öffnung "unter den Augen des Verkaufspersonals" wieder aufgeweicht und dadurch aufgehoben. Denn anders als der maskierte Bankräuber, der garantiert in jedem Fall schon beim Betreten gänzlich unerwünscht ist, gewährt in der Praxis das Verkaufspersonal demjenigen, der gegen irgendwelche Schilder verstößt, dennoch wortlos Zugang. Er wird quasi toleriert - zumindest noch beim Betreten. Das Personal müsste also direkt zu der unerwünschten Person gehen und sie auffordern, den Laden zu verlassen.
Im Übrigen wäre eine andere Auslegung des Gesetzes schlicht unpraktikabel, da sich ansonsten quasi ununterbrochen Menschen wegen Hausfriedensbruchs strafbar machen würden. Es könnten streng genommen auch keine Testkäufe für Preisvergleiche oder Verbraucherzentralen durchgeführt werden, selbst der klassische Einkaufsbummel ohne konkrete Kaufabsicht geriete zur rechtlichen Grauzone. Und der kaufinteressierte, aber eisessende Millionär respektive die mit Mops im Arm shoppende Millionärsgattin hätten trotz üppiger Käufe eine Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs zu befürchten, weil ein entsprechendes Verbot an der Türe klebte.
Und selbst der zur kriminellen Tat festentschlossene Ladendieb begeht noch keinen Hausfriedensbruch, solange er sich äußerlich neutral verhält. ...
Zusammengefasst: Erweckt jemand den Eindruck eines "ordnungsgemäßen Benutzers", liegt ein Hausfriedensbruch nur vor, wenn zuvor ein individuelles Hausverbot erteilt worden ist.

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