Gender-Trouble

DEN KOPF ENTLASTEN? WOHER KOMMEN UND WAS SOLLEN "VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN"?

Buchvorstellungen zum Themenbereich


1. Einleitung
2. Definitionen
3. Was braucht es und was macht alles so attraktiv?
4. Cui bono - sind die Nutznießer von Ereignissen auch deren Verursacher?
5. Vereinfachte Welterklärungen an Beispielen
6. Können "Verschwörungstheorien" auch nützen?
7. Gegenmittel: Skeptisches Denken
8. Wer klärt auf und enthüllt "Verschwörungstheorien"?
9. Was sagen die Kritisierten zur Kritik?
10. Warum werden solche "Theorien" eigentlich verbreitet?
11. Links und Materialien
12. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Rundumschläge zur Welterklärung
Es ist typisch für die Sphäre der vereinfachten Welterklärer_innen, zu allem irgendwie eine Meinung zu haben. Wer erst einmal den Reiz simpler Einteilungen in Gut und Böse, die Fremden/Anderen und wir, Macht (die Strippenzieher) und Ohnmacht (das „Volk“ – unschuldig und verführt) kennengelernt hat, neigt dazu, dieses kopfentlastende Denken zu inflationieren. Schnell werden dann alle möglichen Deutungen übernommen, mitunter innerhalb von Stunden Bekanntwerden einer Nachricht. So schießen regelmäßig schon kurz nach Naturkatastrophen, Flugzeugabstürzen, Politiker_innen-Rücktritten usw. wildeste Gerüchte ins Kraut, die sich in den erklärungsgierigen Köpfen festsetzen und binnen kurzer Zeit kaum noch zu verändern sind, ob sie nie durch Recherche, Analyse oder aufgrund ausgewerteter Quellen entstanden sind. Bücher, Filme und mehr wimmeln daher von Rundumschlägen für die Erklärung der Welt. Ein schönes Beispiel ist das Interview „Die unerwünschte Wahrheit“, das Jan van Helsing 2006 mit Jo Conrad führte (Amadeus-Verlag, 2 CDs, 14 €). Der heutige bewusst.tv-Macher springt dort von einer Plattitüde zu nächsten, ohne auch nur irgendwo so etwas Ähnliches wie Belege oder Hintergrundwissen anzudeuten. Aliens sind unterwegs, die Welt wird von einer kleinen Verschwörungsgruppe regiert – selbst van Helsing wird durch den Schwall in die Rolle eines staunenden Interviewers gedrängt. Interessant ist die Verknüpfung von all dem mit religiösen Motiven – in der Tat sind sogenannte Verschwörungstheorien dem Glauben an externe Allmacht sehr nahe. Das Bild des Strippenziehers bei eigener Ohnmacht ist ja ähnlich. Deutlich trockener kommen da die beiden Bände von „Was sie nicht wissen sollen“ von Michael Morris herüber (2011/2015, Amadeus in Fichtenau, 330/410 S., 21/23,30 €). Es sind Rundumschläge zu allen möglichen Themen von Gentechnik über Welthandel bis zu RFID und Chemtrails (Band 1), von Nineeleven über den Euro, TTIP und NATO bis zum Dritten Weltkrieg (Band 2). Hinter allen werden der Plan für eine neue Weltordnung (NWO) und geheime Weltregierungen vermutet – ein schöner Überblick für alle, die Verschwörungstheorien aus der Sicht derer, die an sie glauben (oder zumindest – vielleicht ja aus kommerziellen Gründen – so tun), lesen wollen. Während Band 1 immerhin noch Namen und Geschehnisse aneinanderreiht, ist Band 2 eher ein Erzählband, der sich wenig Mühe gibt, wie das Ergebnis einer Recherche zu wirken. Einen Überblick ganz anderer Art verschafft Bernd Höcker in seinem Buch „Böse Gutmenschen“ (2015, Kopp in Rottenburg, 96 S.). Er macht ein neues Feindbild auf – schlimmer als Nazis und Islamisten (Rangfolge auf S. 15): Linke Gutmenschen, also solche, die das Gute wollen und sich dabei in eine dogmatische Identität zurückziehen, alles Abweichende ausgrenzen oder gar bekämpfen. Keine Frage: Solche Tendenzen gibt es, aber der Autor verallgemeinert das nicht nur, sondern vermengt es mit emanzipatorischen Politikinhalten aus solchen Kreisen, z.B. Asylgewährung, Inklusion oder der Freiheit sexueller Orientierung. So entsteht ein Hassbuch – mal gegen Deutsche. Immerhin etwas Neues in diesen Kreisen. Und noch mit einem weiteren Paradox: Ganz am Ende bezeichnet der Autor den Titel „Lügenpresse“ als Wahrheit. Fast alle Quellen im Buch sind genau diese Lügner …

Massenware
Doch es gibt nicht nur Rundumschläge via Datenträger oder Buch, sondern auch Autoren, die in einer bemerkenswerten Schnelligkeit zu speziellen, nacheinadner aber allen möglichen Themen Veröffentlichungen raushausen. Gerhard Wisneswki und F. William Engdahl sind Vertreter dieser Zunft. Ob China, Russland oder die Gentechnik, der Untergang der Titanic, die Toten von Charlie Hebdo, abstürzende Flugzeuge oder einstürzende Hochhäuser – einer von beiden weiß immer Bescheid. In seinem aktuellen Hauptwerk „Die Denkfabriken“ (2015, vom Kopp-Verlag herausgebracht und auf dem Titel des Katalogs Juni 2015 beworben, 191 S., 16,95 €) beschreibt Engdahl mehrere Zirkel mächtiger Personen, in denen über die profitable Ausbeutung der Welt geredet wird. Keine Frage: Solche Kreise gibt es, sie sind in der Regel frei von emanzipatorischen Ideen und handeln im Interesse von Regierungen und Kapital. Insofern ist das Buch als Informationsquelle durchaus geeignet. Allerdings ist schon die Auswahl der „Denkfabriken“ seltsam – vor allem US-amerikanische sind beschrieben. Dabei gibt es viel mehr – überall treffen sich Angehörige großer Konzerne und führender Industrienationen. In und zwischen ihnen toben Konkurrenzen, während sie gleichzeitig gemeinsame Interessen verfolgen. „Unsichtbar“, wie Engdahl auf dem Titel behauptet, sind sie in der Regel nicht. Das Buch beweist es ja selbst. Wisneswki hat für sein Buch „Die Wahrheit über das Attentat auf Charlie Hebdo“ (2015, Kopp in Rottenburg, 136 S., 14,95 €) nur wenige Wochen gebraucht. Seine Analyse stand auch schon vorher fest und ist die gleiche wie bei anderen sogenannten Terroranschlägen: Die Mächtigen haben die selbst inszeniert, um ihre Pläne einer Weltregierung umzusetzen. Was schon von Büchern zum 11.9.2001 bekannt ist, wiederholt sich auch hier: Die Regierungsmeldungen werden haarklein seziert – und vielfach überzeugend widerlegt. Mit dieser Enthüllungsleistung im Hintergrund wird dann die eigene, politisch motivierte Interpretation auf die Abläufe projiziert – eine Methodik, die vom Prinzip hier die gleiche ist wie die Propaganda der Regierenden. Nur die Matrix ist eine andere.
Wem die Welt zuviel ist, kann auch einen Rundumschlag über Deutschland lesen. Michael Humphrey und Volker Hans Rey haben in „Das deutsche Desaster“ (2014, R.G. Fischer in Frankfurt, 252 S., 19,90 €) viele kleine Kapitel über die vermeintliche Lage im Land. Es ist die klassische Sicht des Empörungsbürger_innentums, welches zwischen PEGIDA, Sportschau, Wir-haben-es-satt und manchen Lichterketten pendelt. Das Buch ist frei von Fußnoten und Quellenlisten, ein bunter Mix aus allgemein bekannten Behauptungen, schrägen Analysen und vereinfachten Erklärungen durch die deutsch-nationale Brille.

Phalanx der Russland-Versteher_innen
Gut und Böse sind die wirkungsvollste Logik in der Überzeugungskraft vereinfachter Welterklärungen. Die konkreten Feinde lassen sich dabei beliebig austauschen: Juden, Jesuiten oder der Islam, Monsanto oder BlackRock, Illuminaten oder Bilderberger, Amerika oder Russland. Letztere hatten vorübergehend an Wirkungskraft verloren, war das große eurasische Land doch etwas zerfallen. Spätestens seit den Kämpfen zwischen hegemonialen Gruppen in der Ukraine ist das alte Feindbild aber wieder entstanden – und so haben Welterklärer_innen wieder die Chance, sich den richtigen „großen Bruder“ auszusuchen und den anderen zu verdammen. Jürgen Roth, bisher bekannt durch viele spannende Recherchebücher, wählt die antirussische Karte. Er macht das in „Verschlussakte S… - Smolenks, MH 17 und Putins Krieg in der Ukraine“ (2015, Econ/Ullstein in Berlin, 317 S., 19,99 €) nach allen Regeln der Kunst: Zuerst an das Verbrechen von Katyn, dann an die jahrzehntelange Vertuschung danach erinnern und im anschießenden Kapitel den Flugzeugabsturz mit polnischem Führungspersonal behandeln. Da braucht es schon kaum noch irgendwelcher Argumente, um Aha-Effekte zu landen. Das ist auch nötig, denn das Buch ist zwar dick, aber es erinnert eher an Bücher zum 11.9.2001: Einzelne Fakten werden aneinandergereiht und durch eine von Beginn an vorhandene Brille der Interpretation gewertet. Vereinfachte Welterklärung bestätigt sich so immer selbst.
Vereinfachung geht aber auch anders herum. Thomas Fassbender zeichnet in „Freiheit statt Demokratie“ (2015, manuscriptum in Waltrop, 361 S., 19,80 €) ein russlandfreundliches Bild. Zumindest entschuldigt er russische Politiken nach Innen und Außen, deren autoritären bis unmenschlichen Zügen sogar ab und zu anklingen, mit einer besonderen Mentalität, die er wahlweise der Geschichte, dem Klima oder einer vermeintlich asiatischen Mentalität zuschreibt. „Der“ Russe ist irgendwie eigen, anders und eben nicht europäisch. Sagt der Europäer, der seit zwanzig Jahren in Russland lebt – im europäischen Teil. Sein Buch handelt auch viel von Zaren und Zarenmörder_innen, wenig vom Leben in Russland, von Menschen und ihren Mühen, Macht und Auflehnung. Das wiederum ist eine eher europäische Art, die Welt zu betrachten.

Neues Lieblingsthema „Migration“
Vereinfachte Welterklärer_innen (wobei es eine fast reine Männerdomäne ist) wechseln ihre Lieblingsthemen wie andere die Unterhose. Das ist nicht überraschend, denn es geht darum, den dominanten gesellschaftlichen Fragestellungen den eigenen Interpretationsstempel aufzudrücken. Seit Frühjahr 2015 beschäftigt die Flüchtlingsfrage fast alle Medien – und folglich auch die, hier hinter allen Ereignissen Verschwörungen wittern. Sie machen aus der Flucht eine Waffe, die Migrationswaffe. Sie ist gegen die vermeintlich guten Staaten wie Deutschalnd gerichtet, um diese zu destabilisieren. Dahinter stecken die Schurkenstaaten, also vor allem – wie immer – die USA. Genau das behauptet Gerhard Wisnewski in seinem Jahrbuch „2016: verheimlicht, vertuscht, vergessen“ (2016, Kopp-Verlag in Rottenburg, 368 S.). Dort deckt er vermeintlich auf, was in den Medien verschwiegen wurde. Dass er komplett ohne Quellenangaben auskommt, gibt dem Buch schon auf den ersten Blick ein merkwürdiges Design. Die Flüchtlinge sind sein Hauptthema – und er zieht ordentlich vom Leder, was wohl die bösartigen Ziele einer vermeintlichen Überflutung Deutschlands mit Menschen aus anderen Ländern ist. Für Wisnewski gibt es ein Hauptmotiv aller internationaler Politik: Die neue Weltordnung mit einer Einheitsrasse und die Vernichtung Deutschlands. Selbst die Atombomben, die in Israel stationiert sind, sollen am Ende auf Deutschland geworden werden. Die Bibel sagt das. Ähnlich seriös sind auch andere Statements. Autoabgase sind sauberer als die Luft drumherum. Wisnewski weiß das von EIKE, einem Tarnverein der Atom- und Kohlelobby. Jaja, und Flüchtlinge sind eine Waffe und die Erde eine Scheibe …
Etwas fundierte geht da schon Kelly M. Greenhill in ihrem Buch „Die Migrationswaffe“ vor (2016, Kopp-Verlag in Rottenburg, 429 S.). Sie zählt eine Vielzahl von Beispielen auf, die Flüchtlingsströme Regierungen unter Druck setzten und somit erpressbar waren für Forderungen anderer. Allerdings nimmt sie ständig an, dass solches geplant war und nicht im Laufe der Prozesse als nützlicher Nebeneffekt entstand. „Cui bono?“ (wem nützt es) wird so zu einer Beweisführung, wer etwas geplant und verursacht hat. So durchdacht aber funktioniert Politik selten. Dennoch nützt das Buch, um zu begreifen, wie relevant Migration auch in der jüngeren Geschichte war und ist. Sie als Waffe zu bezeichnen, ist jedoch eine absurde Unterstellung, solche Bewegungen genau planen und steuern zu können.

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