Projektwerkstatt

TEXTE ZUR SCHULKRITIK

Das "Opium" Schule legitimiert gesellschaftliche Hierarchien


1. Wissen und Konkurrenz
2. Robert Walser: Die Schule
3. Die Schule als heilige Kuh
4. Das "Opium" Schule legitimiert gesellschaftliche Hierarchien

Der Schulkritiker Ivan Illich beschreibt in seinem Aufsatz "Geplante Armut als Frucht technischer Hilfe" Schule als einen Unterwerfungsmechanismus und Opium, das die gesellschaftlichen Ursprünge von Ungleichheit verschleiert und ihn individuelle Schuld verwandelt. Ein Auszug aus dem Text:

Der Betrug, den die Verkäufer von Schulen begehen, ist weniger offenkundig, aber viel grundlegender als die geschäftliche Selbstzufriedenheit der Vertreter von Coca-Cola und Ford, weil der Schulmann seine Leute mit einer viel anspruchsvolleren Droge angelt. Der Volksschulbesuch ist kein harmloser Luxus, sondern gleicht eher dem Coca-Kauen der Indianer in den Anden, das den Arbeiter dem Boß unterwirft.

Je größer die Dosis an Schulbildung ist, die der einzelne erhalten hat, um so bedrückender ist seine Erfahrung beim Ausscheiden. Wer in er siebten Klasse durchfällt, empfindet seine Unterlegenheit viel bitterer als ein "Durchfaller" in der dritten Klasse. Die Schulen der Dritten Welt flößen ihr Opium viel wirkungsvoller ein als zu früheren Zeiten die Kirchen. Je mehr eine Gesellschaft geistig geschult wird, um so mehr verlieren ihre Angehörigen allmählich das Gefühl dafür, daß es vielleicht möglich wäre Zu leben, ohne andern unterlegen zu sein. Während die Mehrheit vom Land in die Großstadt überwechselt, tritt an die Stelle der erblichen Unterlegenheit des Peons die Unterlegenheit des Schulversagers, den man für sein Scheitern persönlich verantwortlich macht. Schulen rationalisieren den göttlichen Ursprung der gesellschaftlichen Schichtung viel starrer, als es Kirchen jemals getan haben.

Bis heute hat noch kein Land Jugendliche, die zu wenig Coca-Cola oder Autos konsumieren, zu Gesetzesbrechern erklärt, wohl aber haben alle lateinamerikanischen Länder Gesetze erlassen, die den frühzeitigen "Durchfaller" als einen Bürger hinstellen, der seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Die brasilianische Regierung hat unlängst die Zahl der Jahre, in denen Schulunterricht obligatorisch und kostenlos ist, beinahe verdoppelt. Von jetzt an wird jeder Brasilianer, der vor seinem sechzehnten Lebensjahr durchfällt, sein Leben lang dem Vorwurf begegnen, daß er ein gesetzlich verordnetes Privileg nicht ausgenutzt hat. Dieses Gesetz wurde in einem Lande erlassen, wo selbst die größten Optimisten nicht den Tag absehen können, an dem ein solches Maß an Schulbildung auch nur für 25 Prozent der Jugend erreichbar sein wird. Die Übernahme internationaler Maßstäbe für Schulbildung verdammt die meisten Lateinamerikaner in alle Ewigkeit dazu, randständig oder vom Leben der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein - kurzum, zur Unterentwicklung.

(Ivan Illich (1972): "Geplante Armut als Frucht technischer Hilfe." In: Schulen helfen nicht - Über das mythenbildende Ritual der Industriegesellschaft. S.131)

Illich über Schule, Entwicklungshilfe usw.

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