Demorecht

VERSAMMLUNGSRECHT UND URTEILE IM WORTLAUT

Kommentare zum Art. 8 des Grundgesetzes (GG)


1. Kommentare zum Art. 8 des Grundgesetzes (GG)
2. Versammlungsrecht verdrängt Polizeigesetze, StVO und mehr
3. Beispiele juristischer Auseinandersetzungen
4. Mehr Links und Urteile

Rechtsgrundlage für Demonstrationen ist der Art. 8 GG und das dazugehörige Versammlungsgesetz. Beide gelten bundesweit. Allerdings ist die gesetzgeberische Kompetenz inzwischen auf die Bundesländer übergegangen. Diese können also eigene Versammlungsgesetze erlassen, die dann in diesem Land gelten. Das haben einige, wenn auch nur wenige gemacht. In diesen Ländern können dann leicht andere Regelungen gelten als hier zugrunde gelegt werden (z.B. längere Voranmeldefristen oder klare Festlegung, ob eine Demo mindestens zwei oder mindestens drei Teilnehmer*innen haben muss). Schau also nach, ob bei Euch ein Landesgesetz gilt.

Leitsätze aus dem sog. "Brokdorf-Urteil"
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1985 (Az. 1 BvR 233, 341/81)
1. Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozeß und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlaß grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten.
2. Die Regelung des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn bei ihrer Auslegung und Anwendung berücksichtigt wird, daß
a) die Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen nicht eingreift und ihre Verletzung nicht schematisch zur Auflösung oder zum Verbot berechtigt,
b) Auflösung und Verbot nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen dürfen.
BVerfGE 69, 315 (315)BVerfGE 69, 315 (316)3. Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
4. Steht nicht zu befürchten, daß eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen.
5. Die Verwaltungsgerichte haben schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Sofortvollzug eines Demonstrationsverbotes in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt.

Im Original: Gesetzeskommentare
Aus Hesselberger, Dieter (2003), "Das Grundgesetz", Wolters Kluwer in München, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung
Art. 8 [Versammlungsfreiheit]
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.


Art. 8 schützt Versammlungen und Aufzüge - im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen - als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Dieser Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfaßt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nichtverbalen Ausdrucksformen. Es gehören auch solche mit Demonstrationscharakter dazu, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (BVerfGE 69, 343). Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet Art. 8 den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht (BVerfGE 69, 343). Die Meinungsfreiheit wird seit langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform.
Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. Dem steht nicht entgegen, daß speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Die Gefahr, daß solche Meinungskundgaben demagogisch mißbraucht und in fragwürdiger Weise emotionalisiert werden können, kann im Bereich der Verfassungsfreiheit ebensowenig maßgebend für die grundsätzliche Einschätzung sein wie auf dem Gebiet der Meinungs- und Pressefreiheit.
Die grundsätzliche Bedeutung der Versammlungsfreiheit wird insbesondere erkennbar, wenn die Eigenart des Willensbildungsprozesses im demokratischen Gemeinwesen berücksichtigt wird. An diesem Prozeß sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem einzelne n neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im allgemeinen nur eine kollektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen. Die ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts wirkt nicht nur dem Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen. Sie liegt letztlich auch deshalb im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse, weil sich im Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im allgemeinen erst dann eine relativ richtige Resultante herausbilden kann, wenn alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt sind (BVerfGE 69, 343 ff. - "Brokdorf").
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit steht nicht jedem, sondern nur allen Deutschen zu. Wer Deutscher ist, bestimmt Art. 116. Es handelt sich demnach um ein Bürger-, nicht aber um ein Menschenrecht.
Über Art. 8 hinausgehend, bestimmt allerdings § 1 des Versammlungsgesetzes, daß "jedermann das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen", hat. Diese Vorschrift gewährt also auch Fremden Versammlungsfreiheit. Sie haben damit ein Recht, aber kein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.
Art. 8 schützt nur die friedlichen Versammlungen. Er gibt kein Recht zu gewaltsamen Aktionen. Ein Teilnehmer verhält sich jedenfalls dann unfriedlich, wenn er Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht. Auf deren Vermeidung muß eine Rechtsordnung, die nach Überwindung des mittelalterlichen Faustrechts die Ausübung von Gewalt nicht zuletzt im Interesse schwächerer Minderheiten beim Staat monopolisiert hat, strikt bestehen. Das ist die Vorbedingung für die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit als Mittel zur aktiven Teilnahme am politischen Prozeß und - wie die Erfahrungen mit den Straßenkämpfen während der Weimarer Republik gezeigt haben - für eine freiheitliche Demokratie auch deshalb unverzichtbar, weil die Abwehr von Gewalttätigkeiten freiheitsbegrenzende Maßnahmen auslöst. Von den Demonstranten kann ein friedliches Verhalten um so mehr erwartet werden, als sie dadurch nur gewinnen können, während sie bei gewalttätigen Konfrontationen am Ende stets der Staatsgewalt unterliegen werden und zugleich die von ihnen verfolgten Ziele verdunkeln (BVerfGE 69, 360).
Allerdings kann der verfassungsrechtliche Begriff der Unfriedlichkeit nicht mit dem von der Rechtsprechung entwickelten weiten Gewaltbegriff des Strafrechts gleichgesetzt werden. Dagegen spricht bereits, daß die Verfassung die Unfriedlichkeit in gleicher Weise wie das Mitführen von Waffen bewertet, also ersichtlich äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen meint und die Anwendbarkeit des Grundrechts nicht davon abhängig macht, ob eine Behinderung Dritter gewollt ist oder nur in Kauf genommen wird. Jedenfalls besteht angesichts der weiten Fassung des Gesetzesvorbehaltes in Art. 8 Abs. 2 keine Notwendigkeit, den Begriff der Friedlichkeit eng zu verstehen und damit den Geltungsbereich der Grundrechtsgewährleistung von vornherein derart einzuschränken, daß der Gesetzesvorbehalt weitgehend funktionslos wird. Sofern sich die Teilnehmer auf passive Resistenz beschränken und insoweit friedlich bleiben ("Sitzblockade"), handelt es sich noch um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 (BVerfGE 73, 248f.; vgl. auch Rz. 6)
Versammlungen in geschlossenen Räumen unterliegen nur der Einschränkung, daß sie friedlich und ohne Waffen stattfinden müssen. Einer Anmeldung bedarf es nicht. Allerdings muß derjenige, der zu einer öffentlichen Versammlung auch in geschlossenen Räumen, auffordert, in der Einladung (z. B. Plakat) seinen Namen angeben. Versammlungen in geschlossenen Räumen können dann verboten werden, wenn der Veranstalter die Ziele einer vom BVerfG verbotenen Partei oder einer verbotenen Vereinigung fördern will, wenn er bewaffneten Teilnehmern Zutritt gewährt, wenn Tatsachen festgestellt werden, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben, oder wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben (§§ 1, 5 Versammlungsgesetz). Mit Ausnahme der Förderung der Ziele einer für verfassungswidrig erklärten Partei handelt es sich hier um Fälle, in denen die Versammlung entweder nicht friedlich oder nicht ohne Waffen stattfindet oder stattfinden soll. Sie wird daher auch nicht durch Art. 8 geschützt.
Für Versammlungen unter freiem Himmel kann das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden. Derartige Einschränkungen enthält das Versammlungsgesetz. Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde (Polizei, Amt für öffentliche Ordnung) zu melden. Eine Ausnahme gilt nur für "Spontandemonstrationen", d. h. für Versammlungen, die aus einem aktuellen, ganz überraschend auftretenden Anlaß stattfinden und völlig ihren Sinn verlören, wenn sie erst zu einem späterem Zeitpunkt abgehalten werden könnten. Die Polizei kann Versammlungen verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet ist. Sie kann beispielsweise dem Veranstalter einer Demonstration eine bestimmte Route vorschreiben. Der Leiter eines Aufzugs hat für den ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen, wobei er sich der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen kann. Die Teilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der Ordner zu befolgen (§§ 14ff. Versammlungsgesetz). Innerhalb der um die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder gezogenen "Bannmeilen" sind Versammlungen nicht zulässig.
Der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 trägt dem Umstand Rechnung, daß für die Ausübung der Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel wegen der Berührung mit der Außenwelt ein besonderer. namentlich organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf besteht. um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung zu schaffen, andererseits kollidierende hiteressen anderer hinreichend zu wahren. Jedoch hat der Gesetzgeber wie bei der Meinungsfreiheit die in Art. 8 verkörperte verfassungsrechtliche Grundentscheidung zu beachten; er darf die Ausübung der Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzen (BVerfGE 69, 348 f.).
Steht nicht zu befürchten, daß eine Demonstration im ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen (BVerfGE 69, 359 ff.)
Auch wenn "Sitzblockaden" grundsätzlich unter Art. 8 Abs. 1 fallen, führt dies nach Ansicht des BVerfG nicht dazu, sie als rechtmäßig einzustufen. Zu den grundrechtsbeschränkenden und verfassungsrechtlich zulässigen Einschränkungen gehöre es, daß die Versammlung in diesen Fällen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgelöst werden dürfe. Behinderungen Dritter, die von Versammlungen ausgehen, würden durch Art. 8 nur so weit gerechtfertigt, wie sie als sozial-adäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden seien und sich auch durch zumutbare Auflagen nicht vermeiden ließen. Hieran fehle es, wenn die Behinderung Dritter beabsichtigt sei, um die Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen. Dies berechtige die Polizei zur Auflösung der Versammlung (BVerfGE 73, 249f.).
Das BVerfG hat es auch abgelehnt, "Sitzblockaden" unter dem Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als zulässige Ausübung staatsbürgerlicher Rechte zu bewerten, da sie in Rechte Dritter eingriffen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt würden. Entscheidend ist aber wohl folgendes Argument: Zum Wesen des zivilen Ungehorsams gehört nach der Meinung seiner Befürworter die Bereitschaft zu symbolischen Regelverletzungen, er schließt also per definitionem Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen ein als Mittel, auf den öffentlichen Willensbildungsprozeß einzuwirken. Angesichts dieser Zielrichtung erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen (BVerfGE 73, 252).
Die entscheidende Frage ist, ob "Sitzblockaden" eine Nötigung darstellen und damit strafbar sind. Die Rechtsprechung versteht unter Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB nicht nur die Einwirkung auf den Körper des Opfers, sondern auch psychischen Zwang gegenüber dem Opfer. Diese zu Recht kritisierte Ausweitung des Gewaltbegriffes erfordert jedenfalls eine strenge Prüfung, ob die Anwendung psychischen Zwangs "verwerflich" im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB ist ("Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt ... zu dem erstrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.").
Die Strafbarkeit von "Sitzblockaden" hat das BVerfG in Übereinstimmung mit dem BGH zunächst bejaht (BVerfGE 73, 252 ff.). Diese Rechtsprechung hat es inzwischen aufgegeben: Die Auslegung des Gewaltbegriffes des § 240 Abs. 1 StGB durch die Strafgerichte verstoße gegen Art. 103 Abs. 2. Die bloße Anwesenheit an einer Stelle, die ein anderer einnehmen oder passieren möchte, könne nicht schon als körperliche Kraftentfaltung auf seiten des Täters verstanden werden. Der Gewaltbegriff verliere so die für eine Strafnorm erforderliche Bestimmtheit (BVerfG NJW 1995,1141).
Beschränkt sich ein Demonstrant dagegen nicht auf seine bloße Anwesenheit, sondern erfolgt durch ihn selbst eine körperliche Kraftentfaltung, etwa durch die Anbringung von in Hüfthöhe mit Personen verbundenen Metallketten an den Pfosten eines Eingangstores, so ist nicht zu beanstanden, dass die Strafgerichte darin eine Gewaltanwendung sehen (BVerfGE 104, 92,102).
Es ist nicht gestattet, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen oder gleichartige Kleidungsstücke zu tragen, die eine gemeinsame politische Gesinnung zum Ausdruck bringen sollen (§ 3 Versammlungsgesetz). Der Gesetzgeber will dadurch verhindern, daß wiederum paramilitärische Gruppen entstehen, wie sie gegen Ende der Weimarer Republik das politische Bild bestimmten.


Aus Lepa, Manfred (1990), "Der Inhalt der Grundrechte" , Bundesanzeiger Verlag in Köln)
Artikel 8 Abs. 1 GG
I. Allgemeine Grundsätze
1. Bedeutung des Art. 8 Abs.1 GG im Gefüge des Grundgesetzes
Die Versammlungsfreiheit ist die Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe. Sie zählt zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens (BVerfGE 69, 315 [344f.]). Doch ist die Grundrechtsgarantie des Art. 8 Abs . 1 GG ebenso wie die des Art. 5 Abs. 1 GG auf die friedliche Auseinandersetzung mit geistigen Mitteln angelegt; auf sie kann sich nicht berufen, wer seinen Standpunkt mit Tätlichkeiten durchzusetzen sucht (BVerfGE 69, 315 [360]; BGHZ 89, 383 [394/397]).
2. Rechtsqualität
Art. 8 GG gewährleistet in erster Linie ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Zugleich ist er Ausdruck der Volkssouveränität und des demokratischen Bürgerrechts zur aktiven Teilnahme am politischen Prozeß (BVerfGE 69, 315 [343f.]).
3. Verhältnis des Art. 8 GG zu anderen Grundrechten
Art. 8 GG ergänzt die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) nach der kollektiven Seite hin (BGH NJW 1972 S. 1573). Vollzieht sich die Meinungsäußerung kollektiv in einer dazu zusammengetretenen Gruppe, gerade durch eine "Demonstration", so greift allein Art. 8 GG als die speziellere Vorschrift ein, so daß staatliche Eingriffe in den Freiheitsbereich des einzelnen nach dieser Vorschrift zu beurteilen sind (OVG Münster, DÖV 1970 S. 345). Im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG ist Art. 8 GG lex specialis (MDHS Art. 8 RdNr. 28). Das Verhältnis des Art. 8 GG zu Art. 9 GG ist dahin zu bestimmen, daß beide Grundrechte selbständig nebeneinander stehen (OVG Lüneburg, NVwZ 1988, 639); sie haben verschiedene Schutzgüter: Art. 8 GG schützt die passagere, Art. 9 GG die auf Dauer angelegte Vereinigung (vgl. Art. 9 RdNr. 5).
4. Grundrechtsträger
Das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG steht nur natürlichen Personen zu, nicht etwa der Versammlung selbst (OVG Münster, NJW 1975 S. 463 f.). Es ist nur Deutschen vorbehalten, findet also auf Ausländer keine Anwendung (BVerwG DVBI. 1975 S. 888). Jedoch gewährleistet § 1 Abs. 1 Versanunlungsgesetz auch Ausländern ein Versammlungsrecht-, hier greift Art. 2 Abs. 1 GG ein (vgl. BVerfGE 35, 382 [399]; str. vgl. v. Mutius, a.a.0. S.33). Auf juristische Personen ist Art. 8 GG nach Maßgabe des Art.19 Abs. 3 GG anwendbar (str. vgl. v. Mutius, a. a. 0. S. 35).

II. Der Inhalt des Art. 8 Abs. 1 GG
1. Wirkung der Freiheitsgarantie
Art. 8 GG schützt das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (BVerwGE 56, 63 [69]). Schon auf dem Weg zum Versammlungsort steht der Bürger unter dem Schutz von Art. 8 GG; das Grundrecht schützt das freie Zusammenkommen, die eigentliche Versammlung und das treie Auseinandergehen der Teilnehmer gleichermaßen (VG Hamburg, NVNN-Z 1987, 829ff.). Deshalb können etwa die Behinderung der Anfahrt, schleppende vorbeugende Kontrollen, exzessive Observationen oder Registrierungen das Grundrecht aus Art. 8 GG verletzen (BVerfGE 69, 315 [349]). Der Staat ist durch Art. 8 Abs. 1 GG sogar verpflichtet, für Aufzüge die öffentlichen Verkehrsflächen zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls den Verkehr umzuleiten oder abzusperren (VGH München, NJW 1984, 2116; vgl. auch Gallwas, a. a. 0. S. 491 f.). Außerdem gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben (BVerfGE 69, 315 [343
2. Begriff der Versammlung im Sinne des Art. 8 GG
Eine Versammlung liegt vor, wenn die Zusammenkunft mehrerer Personen einen gemeinsamen Zweck verfolgt, zu dessen Erreichung die Anwesenden sich nicht nur räumlich zusammenfinden, sondern sich auch innerlich untereinander zusammenschließen und von anderen absondern (LG Freiburg, NJW 1976 S. 2175; VG Hamburg, NVwZ 1987, 829f.; vgl. ferner Gallwas, a.a.0. S. 486 ["geistiges Band der Beteiligten"]). Die innere Bindung, die dazu führt, daß die Versammelten sich als überpersonales Ganzes verstehen, macht das Wesen einer Versammlung aus, sie unterscheidet die Versammlung von der Ansammlung oder Volksbelustigung (BVerfGE 69, 315 [343]; BVerwGE 56, 63 [69]). Im Unterschied zur Ansammlung, die als eine zufällig entstandene Personenmehrheit nicht unter den Versammlungsbegriff fällt, wird eine Versammlung also dadurch charakterisiert, daß eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck innerlich verbunden ist (BVerwG NJW 1989, 2412). Wieviele Personen für eine Versammlung erforderlich sind, war lange Zeit umstritten. Heute ist man ganz überwiegend der Auffassung, daß drei Personen ausreichen (Bay0bLG, NJW 1979 S. 1896 m.w.N.).
Nach diesem Begriffsverständnis fällt auch die Demonstration unter den Begriff der Versammlung im Sinne des Art. 8 GG (BVerfGE 69, 315 [343]; BGH NJW 1975 S. 50f.). Der Grundrechtsschutz erfaßt gleichfalls eine "spontane" Versammlung (BVerwGE 26, 135 [138]), eine Spontandemonstration (BVerfGE 69, 315 [350]). Die öffentliche Versammlung fällt ebenso wie die nichtöffentliche in den Schutzbereich des Art.8 GG (v.Münch, Art. 8 RdNr.11). Der Schutz des Art.8 GG ist auch nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, vielmehr umfaßt er vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (BVerfGE 69, 315 [343]; vgl. zum Meinungsstand in der Literatur v. Mutius. a.a.0. S. 36f.).
Die Erkenntnis, daß die innere Bindung der Versammelten das Wesen einer Versammlung ausmacht, hat zur Folge, daß Theater-, Konzert-, Filmvorführungen. Sport- und Tanzveranstaltungen, Messen, Märkte. Werbeveranstaltungen und dergl. in der Regel nicht unter den Versammlungsbegriff fallen (BK Ai t. 8 RdNr. 25).
3. Friedlichkeit
Friedlichkeit bedeutet Gewaltlosigkeit; ein Versammlungsteilnehmer verhält sich unfriedlich, wenn er Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht (BVerfGE 69, 315 [360]). Der Begriff der Unfriedlichkeit meint äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit; beschränken sich die Teilnehmer einer Sitzblockade auf passive Resistenz, dann handelt es sich noch um eine Versammlung i. S. von Art. 8 GG. Der Gesetzgeber darf jedoch im Rahmen des Art.8 Abs.2 GG Sanktionen gegen gezielte Verkehrsbehinderungen anordnen, wie es in §15 VersG geschehen ist. Niemand ist befugt, die öffentliche Aufmerksamkeit durch gezielte und absichtliche Behinderung zu steigern (BVerfGE 73, 206 [248ff.].
Beabsichtigen der Veranstalter und sein Anhang Gewalttätigkeiten oder billigen sie ein solches Verhalten anderer, dann handelt es sich um eine unfriedliehe Versammlung, die von der Gewährleistung des Art. 8 GG überhaupt nicht erfaßt wird. Verhalten sich der Veranstalter und sein Anhang friedlich, gehen aber von Außenstehenden (Gegendemonstranten, Störergruppen) Störungen aus, dann müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer richten; nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes darf gegen die Versammlung als ganze eingeschritten werden. Ist kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, dann bleibt für die friedlichen Teilnehmer der Schutz des Art. 8 GG auch dann erhalten, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (BVerfGE 69, 315 [360f.]).
4. Waffenverbot
Art. 8 Abs. 1 GG erfaßt mit seiner Schutzwirkung ferner nur Versammlungen, die ohne Waffen abgehalten werden. Der Begriff der Waffe im Sinne dieses Grundrechts umfaßt nicht nur alle Waffen im technischen Sinn, sondern darüber hinaus auch Waffen im weiteren Sinn (z. B. Bierkrüge, Spazierstöcke, Stuhlbeine), sofern der konkrete Wille besteht, diese Gegenstände als Waffe anzuwenden (BK Art. 8 RdNr. 30; Gallwas, a. a. 0. S. 486).
Verstößt die Versammlung gegen das Gebot der Friedlichkeit oder das Waffenverbot, so versagt die Schutzwirkung des Art. 8 Abs. 1 GG. Dies bedeutet, daß nicht nur die Rechtsfolgen dieser Vorschrift (Befreiung vom Anmeldungs- und Erlaubniszwang) nicht eintreten, sondern darüber hinaus bei der Frage, ob gegen die Versammlung eingeschritten werden darf, Art. 8 Abs. 1 GG nicht zu berücksichtigen ist.
5. Kein Anmeldungszwang
Art. 8 Abs. 1 GG bestimmt als Rechtsfolge einmal, daß für Versammlungen im Sinne dieses Grundrechts ein Anmeldungszwang ausgeschlossen ist. Solche Versammlungen brauchen also keiner staatlichen Stelle vorher angekündigt zu werden. Hiermit steht nicht in Widerspruch, daß § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz für öffentliche Versammlungen bestimmt, daß der Veranstalter in der Einladung seinen Namen angeben muß (BK Art. 8 RdNr. 27).
6. Kein Erlaubniszwang
Als weitere Rechtsfolge befreit Art. 8 Abs. 1 GG vom Erlaubniszwang. Diese Bestimmung, die sich praktisch schon aus dem Verbot des Anmeldungszwanges ergibt, dient in erster Linie der Klarstellung (BK Art. 8 RdNr. 28).

III. Die Grenzen des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 GG
1. "lmmanente Schranken"
Zwar fehlt in Art. 8 Abs. 1 GG ein ausdrücklicher Gesetzesvorbehalt. Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit folgt jedoch schon aus den Geboten der Friedlichkeit und Waffenlosigkeit. Ferner wohnt Art. 8 Abs . 1 GG eine "immanente Schranke" inne. Danach muß sich der einzelne diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt (BVerfGE 39, 334 [367]; vgl. ferner v. Mutius, a. a. 0. S. 89). Beispiele für solche Grundrechtseinschränkungen nennt die nachfolgende RdNr. 12).
2. Grundrechtseinschränkungen
Das Grundrecht ist jedenfalls den Einschränkungen ausgesetzt, die aus bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Gesichtspunkten erforderlich sind (vgl. Geck, DVBI. 1980 S. 803; BK Art. 8 RdNr. 33 m.w.N.). So kann die Versammlungsfreiheit beispielsweise nach § 34 Bundes-Seuchengesetz eingeschränkt werden. Weitere Einschränkungen ergeben sich aus dem Versammlungsgesetz (§§ 5ff.), das dem allgemeinen Polizeirecht als Spezialregelung vorgeht (vgl. VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 [832]-, vgl. auch BVerwG NJW 1989, 2412).
3. Schranken aus Art. 17 a GG und Art. 18 GG
Die Versammlungsfreiheit gehört zu den Grundrechten, die nach Maßgabe des Art. 17 a Abs. 1 GG eingeschränkt werden können. Weder das Soldatengesetz noch das Kriegsdienstverweigerungsgesetz sieht indes eine solche Grundrechtseinschränkung vor. Außerdem kann das Freiheitsrecht aus Art. 8 GG nach Art. 18 GG verwirkt werden.

Artikel 8 Abs. 2 GG
1. Begriff der Versammlung unter freiem Himmel
Versammlungen unter freiem Himmel sind Versammlungen, die nicht in einem geschlossenen Raum stattfinden (BK Art. 8 RdNr. 35). Hierzu gehören insbesondere Demonstrationen und Protestmärsche (OLG Frankfurt, DRJ 1970 S.64).
2. Begriff des Gesetzes im Sinne des Art. 8 Abs.2 GG
"Gesetz" im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG ist ein förmliches Gesetz. Beispiele hierfür sind das Versammlungsgesetz (§§ 14ff.) und die Bannmeilengesetze (vgl. VG Hamburg, NVwZ 1985, 678).
3. Grundrechtseinschränkungen
Bei der Fixierung der Grundrechtsbeschränkung hat der Gesetzgeber besonders dem Sinn des Grundrechts und seiner Bedeutung im sozialen Leben Rechnung zu tragen, die schutzwürdigen Gemeinschaftsinteressen mit der durch das Grundrecht geschützten Freiheit des Individuums abzuwägen; er darf die Ausübung der Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzen (BVerfGE 69, 315 [348f.]). Diesen Anforderungen genügen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes über die Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15). Diese Bestimmungen bilden ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk, mit dem sichergestellt wird, daß die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs notwendigen Maßnahmen getroffen werden können; sie sind also Spezialvorschriften, denen gegenüber anderen Bestimmungen der Vorrang gebührt (BVerwG NJW 1989, 2412). Allerdings ist bei Anwendung dieser Vorschriften zu berücksichtigen, daß die Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen nicht eingreift und ihre Verletzung nicht schematisch zur Auflösung oder zum Verbot berechtigt, und daß Auflösung und Verbot nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen dürfen (BVerfGE 69, 315 [350ff.]).
Für die Auslegung der Grundrechtsschranken durch Behörden und Gerichte gelten dieselben Grundsätze wie für die Auslegung von Vorschriften über die Beschränkung der Meinungsfreiheit: Die Rechtsanwendungsorgane haben die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 GG im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Dabei ist zu beachten, daß keineswegs jedes beliebige Interesse eine Grundrechtseinschränkung rechtfertigt. Dies bedeutet beispielsweise, daß Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeiden lassen, Dritte im allgemeinen ertragen müssen (BVerfGE 69, 315 [349/353]).
4. Haftung für Demonstrationsschäden
Art. 8 Abs. 1 GG nimmt Verletzungshandlungen, die aus Anlaß einer Demonstration von Teilnehmern begangen werden, nicht den Charakter der unerlaubten Handlungen. Er verbietet auch nicht die Anwendung des § 830 BGB in solchen Fällen, in denen mehrere Demonstranten an solchen Tätlichkeiten als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt sind. Für die Annahme einer Mittäterschaft oder Beihilfe an solchen Ausschreitungen reicht es aber nicht schon aus, daß der an ihnen nicht aktiv beteiligte Demonstrant an Ort und Stelle verharrt, auch wenn er mit Gewalttätigkeiten einzelner oder ganzer Gruppen rechnet und weiß, daß er allein schon mit seiner Anwesenheit den Gewalttätern mindestens durch Gewährung von Anonymität Förderung und Schutz geben kann. Vielmehr ist für die Haftung als Mittäter oder Gehilfe die Feststellung erforderlich, daß Gewährung von Anonymität und Äußerung von Sympathie darauf gerichtet und geeignet sind, Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten zu fördern und zu bestärken, etwa durch Anfeuerung oder ostentatives Zugesellen zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalt geübt wird (BGHZ 89, 383 [395]).


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