KRITIK UND OFFENE FRAGEN: DEBATTE UM DIE IDEE FREIER MENSCHEN IN FREIER VEREINBARUNG
Rechte oder Vereinbarungen?
1. Rechte oder Vereinbarungen?
2. Umgang mit Gewalt in einer herrschaftsfreien Utopie
3. Eine Mail - und die Reaktionen
4. Kritik am Christoph Spehrs "Gleicher als andere"
5. Links
- Am konkreten Beispiel: Straße bauen oder nicht?
Debatte
Aus der Hoppetosse-Mailingliste im Rahmen der Diskussion um Herrschaftsfreiheit und Kollektivität (> kennzeichnet das Zitat der Vormail):du schreibst immer von "herrschaftsfreiheit", die kann ich aber> nicht> erkennen. denn den bewohner/inne/n des dorfes "gehoert" ja bei dir> ihre strasse, ihre haeuser, ihr dorf. sie entscheiden letzten endes,> ob> da jemensch durchfaehrt, oder eben nicht. ist das nicht herrschaft?
Nein. Niemand entscheidet per se (also wegen irgendeines Rechtes anirgendwas). Es ist immer alles offen. Die Grundlage von "FreieKooperation" bzw. "Freie Vereinbarungen" ist, dass es fuer dieMenschen nuetzlich ist, kooperativ zu agieren. D.h. sie handeln imeigenen Interesse, wenn sie nicht versuchen, nur zu blockieren.Aber auch dafuer haetten sie keine RECHTSgrundlage.
Also: Die Betroffenen und Interessierten - so liesse sich jeweilsder Rahmen umschreiben derer, die an einer Sache diskutieren undsie klaeren.
Da muss mensch sich als staendig offenen Prozess vorstellen - aberwiederum das Interesse der Menschen am eigenen guten leben wirddazu fuehren, dass zu den "Freien Vereinbarungen" auch gehoert, dassnciht alle alles machen muessen, sondern "Deals","Arbeitsteilungen", "Projektgruppen" fuer bestimmte Projekte usw.Transparenz wird wichtig sein - und ohne Herrschaftssysteme auchkommen, denn ich muss die anderen gewinnen fuer etwas.
hmm, sind denn nicht die haus-, dorf-, strassen-besitzenden gleicher> als die nix besitzenden durchreisen wollenden?
Besitz ist hoechstens noch Nutzungsrecht auf Vereinbarung - unddaraus ergeben sich keine weitergehenden "Rechte". Rechte gibt eseh nicht, weil die nur Sinn machen mit Durchsetzungsmechanismen.Und letztere wiederum werden, sind sie erstmal da (wenn auch fuerdas Gutes geschaffen), das Element des Herrschaftsmissbrauchs.
Also, Du sagst, es gaebe weder ein Recht zum Abschluss noch zur Verweigerung einer freien Vereinbarung (Blockade). Ebenso gaebe es zwar ein Nutzungsrecht, aber nichts weitergehendes.
Das kann ich mir -ehrlich!- ueberhaupt nicht vorstellen:
1.
Rechte bezeichnen immer die legitimen gesellschaftlichen Handlungsoptionen. Wenn ich aber kein Recht auf Abschlusszwang gegenueber anderen Menschen habe, aber dieser auch kein Recht auf Blockade einer freien Vereinbarung - wie ist es dann? ich kann niemanden zwingen, aber andere duerfen sich auch nicht verweigern - was soll ich davon halten, wie muss ich mir das vorstellen? ehrlich - ich versteh das nicht. vielleicht interpretiere ich es tatsaechlich boeswillig, wenn ich diesen modus gesellschaftlichen zusammenlebens bisher als „faustrecht“/“faktisches recht des staerkeren/besser positionierten“ genannt habe. aber mal jenseits dieses vorwurfs: wie kann es dann sonst funktionieren, ausser genau so mit arni-schwarzenegger-methode (die wir ja wohl alle hier nicht gut faenden)?
2.
Das zweite, was mir total unklar ist, ist, wie man ein individuelles „nutzungsrecht“ vom buergerlichn besitz oder eigentum abkoppeln will.
a. besitz ist, da gebe ich dem buergerlichen gesetzbuch recht, die inhaberschaft der tatsaechlichen sachherrschaft.
b. eigentuemer ist, so das bgb richtigerweise weiter, die befugnis, beliebig mit einer sache zu verfahren und andere hiervon auszuschliessen.
soweit konsens?
dann ist aber das „nutzungsrecht“ mindestens an den besitz gekoppelt, vielleicht gar an das eigentum, denn der nutzende hat die sachherrschaft und kann daher jedenfalls zeitweilig andere hiervon ausschließen. also ist doch dein „nutzungsrecht“ im kern nichts anderes als das recht eines eigentuemers oder zumindestens besitzenden zum ausschluss der verfuegung anderer. er hat ausschließlich und alleine die macht und das recht, zu entscheiden. wie sonst? gibt es hiervon gesellschaftliche einschraenkungen, dann geht das „nutzungsrecht“ zugunsten gesellschaftlicher interventionen floeten. aber das willst du ja gerade nicht.
genau solch ein individuelles „nutzungsrecht“ jenseits gesellschaftlicher disposition will ich aber nun nicht, unabhaengig davon, ob du behauptest, dass es dann keinen kapitalismus und kein privateigentum mehr gaebe. denn real ist es doch nunmal trotzdem so, oder?
an diesen beiden punkten, die beide mit der gewaehrung von rechten und deren legitimitaet zu tun haben, wuerde ich meine kritik ansetzen und rechte der gesellschaftlichen und nicht der individuellen disposition unterstellen. wenn es aber doch alles nur ein missverstaendnis ist: wo liegt es dann? wo habe ich deine position oben falsch dargestellt?
Antwort darauf:
O.K. Laß uns dieses Text als Teil eines Resümee-Versuches sehen – soweit jedenfalls mein Vorschlag (und dazu noch mehr gleich).
Deine Beschreibung oben stimmt so. Die Frage, worauf etwas basiert, ist eine der offenen Fragen – bzw. der strittigen. Wenn ich es richtig wahrnehme, gibt es die zwei Konzepte: Recht oder Vereinbarung. In einen Fall (Weiterexistenz von Herrschaftsstrukturen, wenn auch verändert) sichert die Position den Einzelnen ein Recht ab. Dieses Recht wird verliehen und abgesichert. Die Verleihung von Rechten geschieht durch übergeordnete Gremien, die das Recht auch durchsetzen können. Sie sind zwar im günstigen Fall abhängig von der Akzeptanz (sonst werden sie abberufen – jedenfalls, wenn ihre „Basis“ das alles mitkriegt und wichtig findet, nicht glaubt, dass es nicht anders ging oder so nicht viel besser „für uns alle“ ist u.ä.), aber nichtsdestotrotz liegt hier die Unsicherheit des Prinzips „Recht“. Es wird „von oben verliehen“ und ist damit auch „von oben“ aufhebbar oder veränderbar (einschließlich der Bedingungen, unter denen es verändert werden kann, denn wer die Durchsetzungsmittel hat, kann auch die Bedingungen für deren Einsatz regeln). Aber noch mehr: Es wird auch „oben“ entschieden, welches Recht durchgesetzt wird und welches „nicht so wichtig ist“ (alle sind gleich, manche sind gleicher ...)
Demgegenüber kann es in herrschaftsfreien Zusammenhängen kein „Recht“ geben. Insofern war mein Wort „Nutzungsrecht“ falsch. Alles wird durch die „Freie Vereinbarung“ abgelöst. In einer solchen Situation nun muss es einen Antrieb geben, sich kooperativ zu verhalten (sonst droht Faustrecht, was ja einige hier wie ein Naturgesetz folgen sahen ...). Doch dieser Antrieb entsteht genau dann, wenn alle Herrschaftsverhältnisse aufgehoben sind, ich also an allem gesellschaftlichen Reichtum partizipiere, der entsteht. Dann habe ich ein Interesse, dass sich alle frei entwickeln können – und in der Folge ist die Neigung groß, eine freie Vereinbarung auch zu akzeptieren. Oder dann, wenn ich sie nicht akzeptiere, auch dafür kooperative Formen der Kommunikation zu finden statt dem (zweifelsfrei möglichen Faustrecht – die Gefahr dafür bleibt, aber es gibt aufgrund der Vorteile, die aus kooperativen Verhältnissen entstehen, bei ALLEN Menschen ein hohes Interesse an deren Aufrechterhaltung, d.h. viele Menschen würden sich kümmern, wenn Kooperation durchbrochen wird.
Beide Modelle sind nicht sicher. Ersteres ist anfällig gegenüber Mißbrauch der Macht, zweiteres gegenüber dem „Faustrecht“, also der Einzelfalldominanz (mit latenter Gefahr der Bildung darauf basierender Machtstrukturen). Nun ist die Ausgangsfrage aber nicht: Welche Gesellschaftsform ist hundertprozentig ... und sich dann gegenseitig die Probleme nachweisen? Sondern: Welche Rahmenbedingungen fördern maximal kooperatives Verhalten? Sie würden dann eine Gesellschaft entstehen lassen, die maximal auf Kooperationen aufbaut. Dazu gehört auch die Nutzungsvereinbarung, d.h. Wohnraum, öffentliche Räume usw. werden in einer freien Vereinbarung festgelegt – mit der Gefahr des Faustrechts, aber unter dem Druck vieler Menschen, kooperativ zu bleiben, weil das für ein gutes Leben die Grundlage schafft. Also kein ...recht, sondern eine ...vereinbarung. Die kann jederzeit in Frage gestellt werden – der Druck, auch hierfür kooperative Wege zu suchen, minimiert konkurrierende und dominante Verhaltensformen. Ausradieren wird er es nicht. Es wird Scheiße passieren – bei allen Systemen. Die spannende Frage ist: Wo am wenigstens Scheiße (Konkurrenz, Dominanz), wo am meisten kooperative Handlungen?
Und da habe ich eine eindeutige Position: Dann, wenn es keine Herrschaftsstrukturen mehr gibt, keinen privaten Zugriff auf Boden, Maschinen, Rohstoffe usw. im konkurrierenden Sinne (also außerhalb einer freien Vereinbarung) usw.
Guter Staat oder kein Staat?
Dokumentiert: Ein Bericht von einer Veranstaltung zum Thema (per Mail von Wolf)
Hallo,
hier mein Senf zur ersten Veranstaltung der Reihe „Der Bürgerliche Staat“ vom 30.5.02 in Leipzig. Ich möchte mit diesem Text zweierlei versuchen: Erstens darzustellen, inwieweit die Argumentationsweise der beiden Referenten problematisch und unschlüssig war, und zweitens zu begründen, warum ich zu einem anderen Ergebnis komme.
I Einleitung: Worum ging es überhaupt?
Zunächst hatten die beiden Referenten das Wort. Verkürzt gesagt, stellte Jörg Agnolis Parlamentarismuskritik dar, worauf Olaf Überlegungen zu einer besser funktionierenden Gesellschaft anstellte.
Im Anschluss an die Vorträge entwickelte sich eine Diskussion, die sich im Wesentlichen um die Frage drehte, ob ein Staat notwendig sei oder nicht.
Diese Frage hat m. E. zwei Komponenten. Eine normative: Ist erzwungene Kooperation etwas Gutes? Diese Wertfrage muss jedeR für sich beantworten, sie ist nicht argumentativ entscheidbar. Zum anderen hat die Frage aber auch eine analytische Komponente. Einigkeit bestand unter den Anwesenden offenbar darin, dass mit den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen „etwas nicht stimmt“.
Festgemacht wurde das an den Ereignissen von Genua, die in einem demokratisch verfassten Staat geschahen. Uneinigkeit bestand in der Analyse der Ursachen und den daraus abgeleiteten Vorstellungen von Alternativen. Zwei Alternativmodelle wurden diskutiert: ein anders, „besser“ aufgebauter Staat, und das Modell der „freien Menschen in freien Vereinbarungen“.
II Inwieweit war die Argumentationsweise der beiden Referenten (v. a. von Olaf) problematisch und nicht schlüssig?
Die überzeugendste Möglichkeit, in einem Diskurs um die beiden Gesellschaftsentwürfe zu argumentieren, wäre meiner Meinung nach die Folgende: Sowohl darstellen, warum der eigene Entwurf tatsächlich „funktionieren“ kann, als auch zeigen, dass das „andere“ Modell nicht so funktioniert, wie es gedacht ist. Olaf beschränkte sich in seinen Überlegungen darauf, mit einem einfachen Beispiel (auf das ich in Teil III nochmal eingehen will) zu „beweisen“, dass freie Vereinbarungen nicht funktionieren. Damit war die Frage für ihn schon entschieden - ein Staat muss her. Anschließend ging es nur noch darum, wie so ein Staat aussehen muss.
Unabhängig von allen inhaltlichen Fragen finde ich das allein von der Vorgehensweise schon problematisch. Olaf verzichtete nämlich auf die Gegenprobe: Gibt es denn Argumente, die gegen die Existenz eines Staates an sich sprechen? Hätte er diese Frage gestellt, dann hätte er ebenso leicht wie im vorherigen Fall Argumente gegen einen Staat finden können. (Auch ohne besonderen Einfallsreichtum - nach einem Referat über Agnolis Ideen ...) Dann hätte sich gezeigt: Beide Modelle bringen nicht den sofortigen Durchbruch zu einer „besseren Welt“ - es lohnt sich (bzw. ist notwendig), genauer hinzuschauen und konstruktiv-kreativ zu versuchen, Probleme zu lösen. Stattdessen gab es eine voreilige, merkwürdig einseitige Vorentscheidung für ein Modell. Schade.
Inhaltlich zeigte sich in Olafs weiteren Ausführungen, dass die Ideen für einen ‚guten Staat‘ alles andere als ausgereift sind. Das wäre wohl auch zuviel verlangt. Dann müsste konsequenterweise aber auch das Modell der „freien Kooperationen“ in der Diskussion bleiben. Oder ist es legitim, ein Modell abzulehnen, weil es nicht auf Anhieb perfekte Lösungen bietet, und sich mit dieser Begründung für ein anderes zu entscheiden, das auch keine perfekten Lösungen bietet?
III Begründungsversuch der Gegenmeinung: Kein Staat! Keine Macht für niemand!
Jetzt will ich weg von der formal-logischen Ebene und in die inhaltliche Diskussion einsteigen. Hier gibt es keine „Beweisführung“ mehr, nur noch Denkanstöße und Ideen.
Olaf behauptete, ein Staat sei notwendig, um Kooperation zwischen Menschen herzustellen. In dem Beispiel ging es um Unternehmen in einer Wettbewerbswirtschaft. Trotz gleicher Interessen kommt es zu keiner Kooperation.
Hier wurde besonders deutlich, was mir an der gesamten Diskussion auffiel: Die Frage der Staats- bzw. Organisationsform wurde unabhängig von der Wirtschaftsform betrachtet. Meiner Meinung nach sind Demokratie und Kapitalismus nur zusammen zu denken. Wettbewerbsmärkte funktionieren nur in einer stabilen Rechtsordnung. D. h. es muss Institutionen geben, die z. B. den Zugang zu Ressourcen regeln oder Eigentumsschutz durchsetzen. In einer modernen Gesellschaft geht das auch nur mit formal kodifiziertem Recht. Eigentumsrecht zementiert Ungleichheit, denn es beruht auf dem Ausschluss aller Nicht-Eigentümer von der Nutzung eines Gutes. Die angenehmer klingende, aber untrennbar damit verbundene Kehrseite des kodifizierten Rechts sind „demokratische Freiheiten“ und „Menschenrechte“.
Menschen leben nicht isoliert, als „soziale Atome“, sondern in vielschichtigen sozialen Beziehungen. Das Neue am modernen Kapitalismus ist, dass im Gegensatz zu allen früheren Gesellschaftsformen die sozialen Beziehungen in die Wirtschaftsbeziehungen eingebettet sind. Früher war es genau umgekehrt: Die Wirtschaftsbeziehungen waren Teil der Sozialbeziehungen. (Ich will das hier nicht weiter ausführen.
Lesetipp: Polanyi, Karl (1990): The Great Transformation: the Political and Economic Origins of our Time. [1944], 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp, Kapitel 4; der deutsche Text hat einen englischen Titel!)
Damit will ich sagen: in einer Gesellschaft ohne modernen Kapitalismus und moderne Demokratie gibt es keine alles dominierene Wettbewerbswirtschaft mehr. In sozialen Beziehungen ist es oft durchaus rational zu kooperieren. Da müssen die Menschen nicht gleich Altruisten werden. Jedenfalls braucht es keinen starken Staat, um Kooperation zu erzwingen. Olaf hat es sich allzu leicht gemacht.
Ein Mitdiskutierender sprach abfällig von „naiver Schwärmerei von freien Kooperationen“. Auf dieser Ebene ist es sehr einfach und ebenso begründbar, von „naiver Schwärmerei vom ‚guten Staat‘“ zu sprechen.
Dieser Diskussionsstil bringt uns nicht weiter. Ich will versuchen, etwas sachlicher zu bleiben. Dazu will ich gar nicht mehr so weit ausholen. Agnoli hat ja Demokratie und Parlamentarismus schon umfassend analysiert und kritisiert. Der entscheidende Punkt ist für mich, die Probleme nicht in einer bestimmten Staatsform, sondern in jeder Art formaler, institutionalisierter Organisation an sich zu sehen.
Empirische Belege dafür sind nun wahrlich nicht schwer zu finden. Besonders überzeugend finde ich Beispiele aus dem Bereich des Widerstands bzw. der Opposition. Da sind schon Menschen am Werk, die was anderes wollen, die edle Ziele haben und denen es in aller Regel zumindest am Anfang nicht um Macht oder persönliche Profilierung geht. Trotzdem weicht jede Organisation mehr oder weniger stark von den ursprünglichen bzw. den „offiziellen“ Zielen ab. Bei Parteien ist dies offensichtlich: die SPD hatte vor langer Zeit mal ein revolutionäres Programm, und über die Grünen möchte ich an dieser Stelle gar kein Wort mehr verlieren.
Theoretische Begründungen gibt es auch. Z. B. Robert Michels „ehernes Gesetz der Oligarchie“. Sinngemäß sagt es etwa folgendes: Wo immer Menschen sich organisieren, gibt es eine Tendenz zur Herrschaft von wenigen über viele. „Wer Organisation sagt, sagt Oligarchie“. Oder Selznicks These vom „Eigenleben der Organisationen“: Wenn der Fortbestand einer Organisation bedroht ist, sind die in ihr handelnden Akteure bereit, die ursprünglichen Ziele zu modifizieren, wenn sie die Organisation dadurch retten können. Ein Beispiel dafür sind Armeen: ist das alte Feindbild weg, wird garantiert ein neues konstruiert.
Es gibt eine breite Strömung in der Organisationsforschung, die Organisationen als „natürliche Systeme“ auffasst. Demzufolge geht es nicht nur um den Fortbestand von Organisationen, sondern auch um stetes Wachstum. Wer kennt nicht die Beispiele von ausufernden Bürokratien. Im Umgang mit Behörden mag das manchmal nur nerven. Das kann aus emanzipatorischer Sicht aber auch ganz schön gefährlich werden - ich denke z. B. an den Ausbau staatlicher Überwachungssysteme. Das ist für mich kein „Schönheitsfehler“ oder „Mangel an Demokratie“ oder die Schuld „böser“ Menschen wie Otto Schily, sondern aus der Dynamik der Organisationsentwicklung strukturell begründbar.
IV. Fazit
Ich sehe gute Gründe dafür, Forderungen nach einem „starken Staat“ abzulehnen. Versuche, einen ‚idealen Staat‘ zu entwerfen, führen in die Sackgasse. Lasst uns nicht davon ausgehen, Menschen müssten zu ihrem Glück gezwungen werden! Lieber Hierarchien abbauen und für Selbstbestimmung streiten!
Aus Christoph Spehr, 1999: "Die Aliens sind unter uns", Siedler Verlag München (S. 53f)
Alle diese Instanzen behaupten, sie müßten so mächtig sein, um das Böse aus der Welt vertreiben zu können - Regierungen und ihre Geheimdienstse behaupten es, Kirchen und Sekten behaupten es und natürlich die Industrie. Aber all diese Instanzen sind besonders anfällig für das Böse, denn sie können nicht zulassen, vom Willen anderer gestört, von fremdem Eigensinn behindert zu werden. Sie verfügen über keine Mechanismen der Selbstbegrenzung ...
Aus Engels, F.: "Der Ursprung der Familie" (S. 146)
Die Gesellschaft, die die Produktion auf Grundlage freier und gleicher Assoziationen der Produzenten neu organisiert, versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann gehören wird: ins Museum.
Aus Moulian, T., 2003: "Ein Sozialismus für das 21. Jahrhundert". Rotpunktverlag Zürich (S. 138f)
... reformistische Politik der Linken ... Sie schuf die Illusion, dass die Humanisierung des Kapitalismus das mögliche Ergebnis der Obsorge der Behörden von guten progressiven Regierungen war. Nicht die Initiative der sozialen Subjekte wurde betont, sondern das Bemühen des Staates. ...
Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss dem Irrtum des 20. Jahrhunderts, der Etatolatrie, dem Staatskult, abschwören. Im einen Fall dorderte dieser Kult Todesopfer und führte zur Verinnerlichung einer atavistischen Angst, im anderen wurde sie soziale Energie verstümmelt. Der Staat sollte nicht groß geschrieben werden. Er ist weder der Ursprung jeder politsichen Entscheidung noch das Tabernakel einer die Ordnung begründenden Macht, noch ist er der einzige ode beste Regulator des Marktes, und er ist auch kein Hrot der Rationalität. Deshalb ist er weder das Ziel der Politik (im positiven Sinne) noch das Zentrum, auf das sich das verändernde Handeln ausrichten sollte. Er ist nicht der Kern.