Demorecht

WIDERSTAND GEGEN VOLLSTRECKUNGSBEAMTE

Straffreiheit, wenn Polizei rechtswidrig handelt

Der Staat rüstet ständig auf - in alle Richtungen. Dazu gehören auch immer wieder Gesetzesverschärfungen. So wurde der $ 114 StGB erneuert, damit aktive Angriffe auf die Polizei härter bestraft werden können. Aber auch der passive Widerstand hat einen Absatz erhalten, der lange Haftstrafen möglich macht, auch wenn gar nichts Großes passiert ist. Im-Weg-stehen oder sitzen reicht dann schon, wenn es zwei oder mehr Menschen sind ...

Verteidigungsstrategien
Haben die Beamtis alles richtig gemacht?
Das ist die wichtigste Frage bei diesem Paragraphen. Denn nur dann wäre der Widerstand strafbar. Das regelt Absatz 3 des § 113:
Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

Damit lässt sich der Gerichtsprozess umdrehen: Das Verhalten der Polizei (bzw. anderer Behördenleute) wird untersucht – und die sitzen noch im Zeugenstuhl, müssen antworten und die Wahrheit sagen. Wer sich so verteidigt, erreicht oft eine Einstellung.
Auch im § 114 (tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamtis) ist ein solcher Straffreiheitspassus drin - und übrigens auch im Landfriedensbruch dann, wenn Gegenstand eine Auseinandersetzung mit Vollstreckungsbeamt*innen ist, also z.B. die Polizei.

In der Beck-Kommentierung steht, das die Gegenwehr gegen unrechtmäßiges Handeln bei den Diensthandlungen nicht gerechtfertigt ist.
Aus: BeckOK StGB/Dallmeyer, 41. Ed. 1.2.2019, StGB § 114 Rn. 6
Nach Abs. 3 sind die Regelungen des § 113 Abs. 3, 4 (→ § 113 Rn. 15 ff., → § 113 Rn. 23 ff.) – weiterhin – auf Taten des tätlichen Angriffs anwendbar, wenn der Widerstand gegen eine Vollstreckungshandlung gerichtet ist (krit. hierzu mit Recht König/Müller ZIS 2018, 96 (100 f.)).

Die Regelung, dass das Polizeihandeln rechtmäßig sein muss, gilt bei allen damit verbundenen Vollstreckungshandlungen, also beim 113 und beim § 114 StGB - übrigens auch beim Vorwurf des Landfriedensbruchs, wenn der in Form von Krawallen mit der Polizei stattfand. Mensch könnte sich also gegen rechtswidrige Polizeihandlungen auch aktiv wehren, nur dürfte das angesichts der "militärischen" Überlegenheit der Polizei in der Regel sinnlos, zudem schwer vermittelbar und vor Gericht auch kaum nachweisbar sein. Kreative Reaktionen sind da in der Regel das bessere Mittel.

Führten die Beamtis eine Vollstreckungshandlung durch?
Das ist in solchen Auseinandersetzungen zwar meistens, aber nicht immer der Fall. Wenn sie nur rumstehen, nur etwas beobachten oder so, ist das keine Vollstreckungshandlung. Dann greift der Paragraph auch nicht.
Im Umkehrschluss wäre zu folgern, dass die Regelungen des § 113 Abs. 3, 4 nicht anwendbar sind, wenn sich der Widerstand gegen sonstige Diensthandlungen richtet "

Unter den Diensthandlung werden im Kommentar folgende aufgezählt:
Aus: BeckOK StGB/Dallmeyer, 41. Ed. 1.2.2019, StGB § 114 Rn. 4
Der sachliche Anwendungsbereich des § 114 unterscheidet sich von dem des § 113 (→ § 113 Rn. 5) dadurch, dass nicht nur Vollstreckungshandlungen erfasst sind, sondern jede Diensthandlung (unklar Magnus GA 2017, 530 (540)). Dazu gehören zB (s. BT-Drs. 11161, 8; SN Kubiciel S. 10; Zöller KriPoZ 2017, 143 (145); Schiemann NJW 2017, 1846 (1847); Magnus GA 2017, 530 (536); ergänzend → § 113 Rn. 5):
•Streifentätigkeit
•Befragungen von Passanten
•Unfallaufnahmen
•Radarüberwachungen
•Reifenkontrollen
•Beschuldigtenvernehmungen
•die Beobachtung gewaltbereiter Personen und
•die beschützende Begleitung von Demonstrationszügen


Aus BGH 4 StR 168/20 - Beschluss vom 6. Oktober 2020
Eine "Ingewahrsamnahme" nach polizeirechtlichen Vorschriften ist eine "Vollstreckungshandlung" im Sinne des § 114 Abs. 3 StGB. Hierunter fällt jede Handlung einer dazu berufenen Person, welche die notfalls zwangsweise durchsetzbare Verwirklichung des im Einzelfall bereits konkretisierten Staatswillens bezweckt (…). Dies ist bei dem Vollzug eines polizeirechtlichen Gewahrsams der Fall. Infolgedessen ist nach § 114 Abs. 3 StGB die Vorschrift des § 113 Abs. 3 StGB entsprechend anwendbar, wonach die "Tat nicht als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte strafbar ist, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist.“

Nicht mit mehreren das gleiche gegen die Polizei tun
Der § 113 StGB enthält seit der Neuerung die Strafverschärfung, dass ein (auch passiver) Widerstand gegen die Polizei mit sechs Monaten oder längerer Haft bestraft wird, wenn mensch nicht allein handelt.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn ...
3. die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.

Was genau das bedeutet, ist zurzeit noch strittig. Bedarf es auch einer Steigerung der Widerstandswirkung, müssen die mehreren Menschen kooperieren? Oder reicht zufälliges Nebeneinanderagieren oder -stehen schon aus?

Erste Kommentierungen und Texte zu gemeinschaftlichem Widerstand
Aus Yanik Bolender (2021): Das neue Widerstandsstrafrecht (Nomos in Baden-Baden)
Dies soll aus Sicht des Gesetzgebers gerade deswegen notwendig sein, da ein gemeinschaftliches Vorgehen mehrerer Angreifer die Gefahr für die betroffenen Vollstreckungsbeamten in solchen Situationen aufgrund gruppendynamischer Prozesse, welchen eine besondere Gefährlichkeit innewohne, erheblich steigere. ...
So ist nicht allein schon aus einer Mehr- oder Überzahl an Beteiligten eine erhöhte Gefahr für das Opfer zu folgern, sondern erst dann, wenn diese auch zur Überlegenheit der Position der Täter führt und dadurch die Abwehrmöglichkeiten des Opfers in der Tatsituation eingeschränkt werden, indem sich z.B. seine Verteidigungsmöglichkeiten verringern oder der Vollstreckungsbeamte sich kaum mehr der Widerstandshandlung entziehen kann. Es ist also immer danach zu fragen, ob durch die gemeinschaftliche Begehung sich die Lage des Opfers nicht unerheblich verschlechtert und die Gefahr für das Rechtsgut konkret gesteigert wird. Nur dann ist die Annahme des Regelbeispiels vor dem Hintergrund des erhöhten Strafrahmens gerechtfertigt.


Aus der Begründung der Gesetzänderung (BT-Drucksache 126/17)
Zudem soll der Katalog der Regelbeispiele des § 113 Absatz 2 StGB erweitert werden um den Fall der gemeinschaftlichen Tatbegehung. Künftig liegt in der Regel ein besonders schwerer Fall vor, wenn die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird. Ein gemeinschaftliches Vorgehen mehrerer Angreifer erhöht die Gefahr für die betroffenen Polizistinnen und Polizisten erheblich.

Weitere Infos und Aspekte

Wenn rein passiver Widerstand als Gewalt definiert wird
Zusammenfassung des Textes „Grenzen des Widerstandleistens mit Gewalt bei § 113 StGB – zugl. Besprechung von Kammergericht, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23“ von Rechtsanwalt Dr. Sebastian Seel, Berlin.
Während es zu Sitzblockaden und weiteren Aktionen von Klimaaktivisten bereits eine Reihe divergierender erstinstanzlicher Entscheidungen gibt, nimmt die obergerichtliche Rechtsprechung dazu erst nach und nach Konturen an. Kürzlich hat das Kammergericht schon ein Sich-Festkleben mit leicht lösbarem Sekundenkleber bei einer Sitzblockade vor Räumungsbeginn grundsätzlich als „Widerstandleisten mit Gewalt“ iSv § 113 Abs. 1 StGB eingeordnet. Der Beitrag analysiert und kritisiert eine darin liegende Entgrenzung des Tatbestands von § 113 StGB und nimmt sie zum Anlass, den verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Interpretation des „Widerstandleistens mit Gewalt“ nachzugehen. Er legt dar, weshalb die Vorgaben des Kammergerichts nach seiner Ansicht gegen das Verschleifungsverbot verstoßen und die Wortlautgrenze verletzen. Daneben sind die Ausführungen des Kammergerichts zur Verwerflichkeitsprüfung bei § 240 Abs. 2 StGB Gegenstand des Beitrags.

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