MODERNE FORMEN VON HIERARCHIE: FÜHRUNG IN HIERARCHIEKRITISCHEN GRUPPEN
Awareness als Machtsicherung
Emanzipation auch intern! ● Modern führen (getarnt) ● Assimilieren&sanfte Übernahme ● Instrumentalisierung ● Awareness als Machtsicherung ● Kontrolle der Außenvertretung ● Geschichtsschreibung ● Bewegungsagenturen/-kraken ● Aufstehen! ● Unberechenbarer Protest ● Links zu Alternativen ...
Definition von “Awareness” (Quelle)
Awareness bedeutet so viel wie “Bewusstsein” oder “Aufmerksamkeit” und beschreibt den Versuch, grenzüberschreitendes Verhalten zu erkennen, diesem Verhalten vorzubeugen, Betroffene zu betreuen und diese zu unterstützen. Es soll eine Atmosphäre geschaffen werden, die es erlaubt, dass sich alle sicher und gesehen fühlen. Menschen sollen so bestärkt werden, ihre Bedürfnisse frei und ohne Angst vor Beurteilung zu äußern.
Klingt gut.
Wäre es auch, wenn in der Praxis auch herrschaftstheoretische Überlegungen und Erfahrungen aus der Hierarchiekritik Eingang in die Konzepte finden würden, unter anderem die Dynamik, die damit verbunden ist, wenn Menschen Macht über andere bzw. privilegierte Stellungen inne haben. Genau das entsteht aber automatisch, wenn Awareness nicht ein Konzept aller für alle ist, sondern spezielle Gruppen zuständig sind - wie Polizei und Gericht in einem.
Aufeinander achten, ist wichtig. Einander überhaupt wahrnehmen, dafür die Voraussetzung. Schon daran scheitert die inzwischen zum "Awarenismus" aufgeblasene, ursprünglich gut gemeinte Cancel-Ideologie. Mit Folgen.
- Ausgrenzungskultur: Immer länger wird die Liste der No-gos. Um safe spaces für von außen bestimmte Schutzbedürftigengruppen zu schaffen, hagelt es Verbote - für Frisuren, Kleidung, Gesten und Worte. Wer die nutzt, ist schnell draußen.
Verdacht reicht: Bürgerliche Unschuldsvermutung? Nicht mit uns. Weil die Justiz (zu Recht) als etwas Konservatives betrachtet wird, sollen andere Regeln gelten. Die ähneln aber eher Standrecht, also einem Willkürregime. - Empathieferne: Empathie ist die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen.
Paternalismus und Abtrainieren von Selbstorganisierung: Politischer Protest wird immer mehr zur All-inclusive-Sache: leckeres Essen von top-ausgestatteten Küchenkollektiven, feste Pressegruppen, durchgestyltes Programm - und dann noch die Awarenessgruppe, die sich kümmert, dass die Menschen aufeinander achten und fair miteinander umgehen. Hier und da werden Menschen in vorgedachte Dienste eingeteilt. Selbst denken passt aber nicht mehr. Das Credo: Machen ist out, mitlaufen ist geil. Bitte als toter Fisch im Strom treiben! Den Menschen ihre eigene Verantwortung abzunehmen und durch Gremien auf sie aufzupassen, ist Paternalismus - und das ist eine Form der Herrschaft. - Kritikfeindlichkeit: Kritik ist eine Form der Kommunikation, deren Voraussetzung die Wahrnehmung des Anderen und dessen Position ist. Daher setzt Kritik immer zumindest ein wenig Empathie voraus, qualifiziere Kritik sogar sehr viel. Das Gegenteil von Kritik ist einerseits Gleichgültigkeit, andererseits kann auch Ausgrenzung eine Form der Nicht-Wahrnehmung anderer Personen sein. Die Grenzziehung ersetzt die tatsächliche Auseinandersetzung. Insofern müsste Kritik gefördert, Streitkultur als Ringen um Positionen aus Awarenesssicht vorangebracht werden. Jedoch das Gegenteil ist der Fall. Kritik wird grundsätzlich als übergriffig denunziert - mit einer Ausnahme: Die Kritik der Kritik. Da darf dann sogar richtig draufgehauen werden, Beleidigungen inklusive.
- Stabilisierung von Hierarchien: Die Denunzierung von Kritik hilft vor allem den Führungen in Gruppen und Bewegungen. Wer oben sitzt und/oder über Privilegien verfügt, muss nicht andere nicht kritisieren. Und wenn Kritik als solches unerwünscht ist und ein schlechtes Image hat, wird unter anderem auch die Kritik an Hierarchien und Verhalten der Führungskreise schwierig. Die Eliten müssen sich nicht mehr verteidigen, sondern machen die Stildebatte auf. Oft brauchen sie das nicht selbst tun, weil bereits andere Harmonie einfordern oder die Awarenessgruppen tätig werden.
- Ausschluss Einzelner statt Veränderung der Bedingungen: Awarenessgruppen sanktionieren das Verhalten Einzelner. Wie in der bürgerlichen Strafjustiz stehen nicht die Verhältnisse im Blickpunkt. Personen fliegen wegen sexistischer oder rassistischer Wortwahl, falscher Frisuren oder Kleidungsstücke vom Platz, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung darüber kommt, warum und wie solche Verhaltensweisen (auch) in politischen Bewegungen vorkommen. Nicht der Sexismus wird bekämpft, sondern de Sexisti. Das verlagert nur den Ort solchen Verhaltens und macht den Raum nicht sicherer.
Die Alternative
Statt Zuständigkeiten und Kritikphobie brauchen herrschaftsarme Zusammenhänge eine lebendige Interventionskultur aller. Wenn alle oder möglichst viele aufmerksam und informiert sind, was sexistische, rassistische oder andere diskriminierende Verhaltensweisen auszeichnet und wie ein Eingreifen aussehen kann, lassen sich Räume sicherer machen, ohne ihre Offenheit einzuschränken und Verantwortung an immer neue Gremien abzuschieben. Solche Konzepte gab es bereits in den 90er Jahren, die hinsichtlich Bewegungsstrukturen emanzipatorischer geprägt waren als heute. So beganngen große Camps und Kongresse mit Workshopphasen, wo alle Teilnehmenden lernen, woran diskriminieredes Verhalten zu erkennen ist und wie sinnvoll eingegriffen werden kann. Ziel ist die Herstellung derart sicherer Räume, dass selbst potentielle Tätis darin keine Gefahr darstellen.
