Sand im Getriebe

DIE DEMOKRATIE ÜBERWINDEN, BEVOR SIE SICH SELBST ABSCHAFFT - ZUM SCHLIMMEREN!

Kap. 3: Retten und scheitern


Die Demokratie überwinden ... Kap. 0: Intro, Fragestellung Kap. 1: Massen-demokratisch Kap. 2: Demokratischer Alltag Kap. 3: Retten und scheitern Kap. 4: Aufbruch Quellen (mit aktiven Links) Über den Autor Presse und Rezensionen

Ausgewählte Zitate aus Teil 3 des Buches „Die Demokratie überwinden, bevor sie sich selbst abschafft – zum Schlimmeren!“ von Jörg Bergstedt (SeitenHieb-Verlag)
Die Zitate dürften frei verwendet werden - um Quellenangabe wird gebeten.

Zusammenfassung des Teils 3: Retten, scheitern, verzweifeln
... folgt ...

Auszüge aus Teil 3
Kapitel zum Jammern über Demokratie (S. 153f)
Dieser Blick auf die Geschichte ist wichtig, denn er zeigt, dass die Demokratie nie von sich aus blühte, sondern immer nur auf Basis der Ausbeutung anderer. Das spricht nicht per se gegen die Demokratie, sondern vor allem erstmal gegen eine imperiale Lebens- und Wirtschaftsweise, eben den marktförmigen oder den staatsmonopolitischen Kapitalismus. Beide schleifen Mensch und Natur. Weder diktatorische noch demokratische Systeme setzten wirksame Grenzen. Seit das Wohlstandsversprechen von immer größeren Anteilen der Bevölkerung angezweifelt und die gigantische sowie schnell wachsende Kluft zwischen Arm und Reich für alle sichtbar wird, geht der Glaube in die Demokratie als mäßigender Rahmen für die rücksichtslose Wirtschaftsform des Kapitalismus immer weiter verloren. Letztlich hat sie diese Rolle nie erfüllt, sondern nur die Folgen durch die Auslagerung der negativen Wirkung in entlegene Teile der Welt abgepuffert. Eine Mitsprache der Betroffenen, wie es die Demokratie eigentlich verspricht, hat es dort jahrzehntelang nicht gegeben. Die Metropolen mit ihrer Machtkonzentration benutzen die Peripherie ungefragt als Rohstoff- und Arbeitskraftquellen, und als Müllhalden.
Nun blättert der Lack ab und die durch diesen Wohlstandstransfer erkaufte Zustimmung schwindet. Statt einer klaren Analyse der Ursachen einschließlich einer schonungslosen Reflexion der imperialen Verhältnisse, die der formalen Kolonialzeit folgten, erhebt sich ein kollektives Jammern um die schöne Demokratie, die eine so schöne Zeit der (scheinbaren) materiellen Absicherung schuf, verbunden mit dem Versprechen, dass Wohlstand und die gesamte Wirtschaft immer weiter wachsen würden. Dieser Blick auf die jüngere Geschichte übersieht das beschriebene Aussaugen anderer Teile der Erde, romantisiert und verschleiert das Vergangene. Er drückt eine staatsegoistische bis nationalchauvinistische Grundhaltung aus, in dem er sehnsüchtig auf Phasen verweist, in der durch blutig durchgesetzte Abhängigkeitsbeziehungen der eigene Wohlstand sicher schien.
Diese Phase ist vorbei. Die bisher einseitig ausgebeuteten Nationen erringen größere Eigenständigkeit und wehren sich dagegen, anderen Ländern zu dienen. Die einfachen Menschen haben davon in der Regel nichts. Statt den Eliten des Nordens dienen sie nun Diktaturen, Oligarchien oder, im Fall demokratischer Verfasstheit, den Eliten der Aristokratie im eigenen Land.

Kapitel zu Regierungswechsel (S. 159)
Läuft es in Diktaturen nicht gut und steigt die Unzufriedenheit bei größeren Teilen der Bevölkerung, stellt sich sofort die Frage einer Revolte. Dem Diktator bleibt wenig anderes übrig, als sein Arsenal an Unterdrückung zu vergrößern – eine oft blutige Spirale, deren Ausgang ungewiss ist. Oft gibt es anfangs viele Opfer unter den Aufständischen, aber am Ende muss der Diktator gehen oder verliert selbst sein Leben. Die schlechten Erfahrungen mit der Diktatur lassen dann oft den Wunsch aufkommen, es mal mit der Demokratie zu versuchen. Die Revolte führt zu Systemwechsel.
Das passiert der Demokratie nicht so leicht. Denn sie hält einen passenden Mechanismus bereit, der Protest ins Leere laufen lässt. Wenn es nicht läuft und die Unzufriedenheit steigt, richtet sich der Zorn der Menschen nicht gegen das System, sondern gegen die jeweilige Regierung. Die ist schließlich abwählbar. Versagt also die Demokratie hinsichtlich ihrer Versprechungen, so bietet sie selbst das Mittel, in jeder Krise neue Hoffnung auf Besserung zu erzeugen, in dem eine andere Regierung gewählt werden kann. Das kanalisiert jeden Protest aufs Wählen, sichert dem demokratischen System das Weiter-so und ist in dieser Form ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal der Demokratie. Deren Propaganda klingt dann so: „Wahlen garantieren den friedlichen Übergang der Macht von einer Person oder einer Gruppe zur anderen“. Oder so: „Die Bürger dürfen wählen. Herrschaft kann höchstens Herrschaft auf Zeit sein. Und damit können die Wähler immer wieder andere beauftragen; denn ohne Regierungen kommen sie ja nicht aus.“

Kapitel zu Verschlimmbesserungen (S. 167)
Angesichts des laufenden Rechtsrucks könnten direkt-demokratische Elemente schnell eine weitere Zuspitzung mit sich bringen, da die aktuelle angstbesetzte Aufladung der Gesellschaft die Chance erhöht, mit populistischen Positionen Mehrheiten zu generieren. Die rechten Parteien sind sich dessen bewusst und „fordern Volksentscheide nach Schweizer Vorbild auch für Deutschland. Denn die uneingeschränkte Volkssouveränität in ihrer seit fast 200 Jahren bewährten Gestaltung hat dem eidgenössischen Bundesstaat eine fortwährende Spitzenstellung in Wohlstand, Frieden und Freiheit gesichert.“ Schon 2021 brachte die AfD einen Gesetzentwurf für Volksabstimmungen in den Bundestag ein, der an den anderen Parteien scheiterte.
In den AfD-Formulierungen versteckt sich ein grundsätzliches, demokratietheoretisches Problem. Wenn das Volk, sei es über direkte Sachabstimmungen in direkter Demokratie oder über Wahlen von Repräsentantis, die dann die Entscheidungen fällen, die volle Souveränität haben soll, also „alle Gewalt vom Volke ausgeht“ (Art. 20 GG), dann dürfte es keine Schranken geben. Zu jedem Thema und in jede Richtung dürfte entschieden werden. Einen Krieg anzetteln, alle Nichtdeutschen verjagen, wieder Konzentrationslager errichten oder die Todesstrafe einführen, Frauen an den Herd zurück zwingen, die Prügelstrafe für Kinder erneut legalisieren, Gefängnis für Abtreibungen verhängen – die Liste der vorstellbaren Entscheidungen, die je nach populistischer Aufladung eine Mehrheit erhalten könnten, ist lang. Dass dies nicht nur Theorie ist, zeigt die Geschichte. Der Übergang von Demokratie zum autoritären Staat erfolgte in der Regel auf demokratischen Wegen.

Kapitel zur demokratischen Disziplinierung (S. 179f)
Demokratische Regierungen verfügen über sehr ähnliche Machtmittel wie Diktaturen. Während letztere vor allem ihren Sturz fürchten müssen und sich daher einseitig mit immer mehr Sicherheitsstrukturen zu schützen versuchen, sind demokratische Regierungen abwählbar. Sie müssen sich also auf eine Art und Weise durchsetzen, bei der sie anerkannt bleiben. So entwickelten sich im Laufe der Jahrzehnte vielfältige Strategien, die möglichst viele Menschen mitnehmen und diejenigen, die abweichender Meinung sind, zum Stillhalten bewegen oder auf harmlose Protestformen, quasi Sandkästen für Unmutsäußerungen, verweisen.
Das wichtigste Mittel ist Geld. Fast alle oppositionellen Parteien und sozialen Bewegungen werden in modernen Demokratien mit erheblichen Mitteln vom Staat gefördert, nehmen Geld von Konzernen oder lassen sich in gemeinsame PR-Projekte mit diesen verwickeln. Zudem sind sie auf ständige Spendenflüsse aus den finanziell gut bis sehr gut gestellten Teilen der Bevölkerung angewiesen. Da deren Angehörige überwiegend zu den Gewinnis der gesellschaftlichen Entwicklung gehören, sind viele Organisationen recht staatstreu, pro-demokratisch und im gemäßigt linksgrünen Sektor verortbar. Sowohl dem Geldgeber Staat als auch solchen Spendis gegenüber dürfen die Organisationen, Parteien und Institutionen, die auf Geldsegen hoffen, nicht allzu kritisch gegenübertreten. Verfügt die Organisation aufgrund der erheblichen Geldflüsse nach einiger Zeit über mehrere Hauptamtliche, so entsteht eine Abhängigkeit, dass die Gelder regelmäßig ankommen. Aktionen, Positionen und Forderungen dürfen die Geldgebis nicht verschrecken.
Dieser Mechanismus prägt heute die Strategien fast aller Nichtregierungsorganisationen (engl. abgekürzt: NGOs). Neue Themen aufmachen, mal was Neues probieren – das ist seit langem den wenigen unabhängigen Gruppen und kleinen Zusammenschlüssen überlassen, die es neben den großen Verbänden und Parteien noch gibt. Entwickeln sich ihre Aktionen erfolgreich, erhalten auch sie Angebote für Fördergelder – ein ewiger Teufelskreis. Unabhängige politische Bewegung existiert daher nur noch in kleinen Zirkeln, die meist schnell wieder verschwinden.
Ähnlich wie mit Geldern verläuft es mit Jobangeboten. Die Zeiten, in denen eine ordentliche, in der Regelzeit und mit guten Noten abgeschlossene Ausbildung die besten Chancen auf einen Arbeitsplatz brachte, sind in vielen Branchen vorbei. Wer sich in sozialen Kämpfen als leistungsfähig zeigt, bekommt Angebote, betritt aber dann eine Sphäre, in der radikale Aktionen oder Staatskritik den eigenen Arbeitsplatz gefährden. Dass am Arbeitsplatz dann Personen Druck ausüben würden, deren Job daran hängt, dass Förder- oder Spendengelder nicht wegbrechen, tut ein Übriges.
Ein weiteres Mittel der Ruhigstellung: Beteiligung. Immer wieder ploppen neue Formate auf, wie Menschen in politische Prozesse eingebunden werden können. Stets werden diese als tolle Mittel gegen Politikverdrossenheit gepriesen, verschwinden aber nach einiger Zeit wieder in der Versenkung. Runde Tische, „Planning for Real“, Zukunftswerkstätten, lokale Agenda und vieles mehr hatten ihre Zeit, weckten Hoffnungen, verblieben aber stets im unverbindlichen Raum. Aktuell sind Bürgiräte angesagt, werden auf lokaler und überregionaler Ebene organisiert, medial inszeniert, von Prominenten hofiert – und ihre Ergebnisse dann vergessen. Allen Beteiligungsformaten ist nämlich eines gemeinsam: Tatsächliche Entscheidungsmacht haben sie nicht. Das wäre verfassungsrechtlich auch nicht möglich. Die konstitutionelle Demokratie, also der Verfassungsstaat, zieht eine klare Grenze zwischen Macht und Machtlosen. Die Zuschauiränge für die einfachen Menschen werden zwar ständig reformiert und neu tapeziert, bedeuten auch keine reine Passivität mehr. Wer sich jedoch in den Angeboten verirrt, lernt zwar, dass Engagement heute gelobt wird und der Händedruck mit den Mächtigen dazugehört, aber auch, dass alles wenig oder nichts verändert. Die Propagandaabteilung der Bundesregierung nennt das selbst „Scheinbeteiligung“ und stellt die Kritik näher dar. Danach „wird Beteiligung selbst ganz grundsätzlich als eine Strategie begriffen, mit der Stadtpolitik, Stadtverwaltung und immobilienwirtschaftliche AkteurInnen städtische Konflikte zu befrieden versuchen“. Die Politik bleibt allein entscheidungsbefugt, die Wirtschaft ist gar nicht erreichbar. Gab es vorher soziale Proteste, so haben sich diese in den Beteiligungsverfahren aufgelöst. Eine Reorganisierung gelingt oft nicht mehr. De eine oder andere, de mit besonderem Engagement und strategischen Fähigkeiten auffiel, erhält Angebote für Jobs, manche Gruppe Fördergelder. Dann ist wieder Ruh‘.

Kapitel zu Not-Propaganda (S. 190f)
Experimente jenseits aller Regeln sind selten und leiden immer darunter, dass die Menschen, die in ihnen agieren, in einer Welt der Regeln, des Zwangs und der strafenden Sanktionierung von Fehlverhalten aufgewachsen, also in selbstorganisierter Gleichberechtigung nicht geübt sind. Zudem sind sie Verlockungen und oft auch repressivem Druck von außen ausgesetzt. Dennoch gibt es einige interessante Fälle, die Hoffnung machen können und zeigen, dass die Sache mit der Alternativlosigkeit demokratischer Beherrschung so eindeutig nicht ist. Drei davon waren Gegenstand eines Artikels des langjährigen bayrischen Landesvorsitzende der Ökologisch-Demokratischen Partei, Bernhard Suttner. Im Parteiorgan namens Ökologie&Politik schrieb er einen Text, der für den Ordoliberalismus, eine staatlich regulierte Marktwirtschaft warb. Darin formulierte er vier Thesen, mit denen er belegen wollte, dass eine Welt ohne klare Regeln nicht funktioniert. Er hat keine These begründet, sondern einfach angenommen, alle würden von allen „relativ leicht als absurd zu erkennen“ sein. Doch er irrte: Drei der vier waren typische Demokratiepropaganda und wurden per Leserbrief widerlegt. Der zeigte, dass es längst gute Beispiele gibt, die belegen, dass das Herunterfahren von Herrschaft möglich ist und sichtbar Vorteile bringt (siehe links). Das eindrucksvollste war dabei der Verzicht auf Schiedsrichtis beim Fußball. Aus einem Mangel von Personen, die dazu bereit sind, wird in Teilen des Spielbetriebs auf Schiedsrichtis verzichtet. Die Mannschaften müssen sich auf einen Umgang mit Fouls, Abseits usw. einigen. Das Spannende: Die Spiele sind fairer – außer wenn die Eltern am Rande stehen und Druck machen. Ganz ähnliche Erfahrungen entstehen, wenn Plätze ohne Verkehrsregeln geschaffen werden.
Ein weiteres Beispiel sind Nachkriegssituationen in den Gebieten, in denen die militärischen Abfolgen ergaben, dass die bisherigen Machthabis vertrieben wurden, die neuen aber die Flächen nicht besetzt hielten, zum Beispiel weil sie weiter vorrückten. Solch eine Lage entstand 1944 in der Erzgebirgsregion Schwarzenberg in Folge einer ungenauen Grenzziehung zwischen sowjetischer und US-amerikanischer Besatzungszone. Die vorher regierenden Nazis waren geflohen, so dass die Bevölkerung auf sich gestellt war – und eine Räterepublik gründete.
Es gibt also durchaus Hinweise darauf, dass der Abbau von Kontrolle und Beherrschung eine friedfertigere Welt schaffen könnte. Das ist eigentlich Alltagswissen. „Gewalterfahrungen in der Kindheit können langfristig zu negativem, unerwünschtem Verhalten führen. Dazu zählen aggressives, kriminelles und antisoziales Verhalten im Kindesalter und als Jugendlicher, aber auch als erwachsene Person. Zudem besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter selbst zur Tatperson (z. B. in Bezug auf häusliche oder sexuelle Gewalt) oder sonst straffällig zu werden.“ Stimmt diese Korrelation, dann lässt sich umkehren und bleibt richtig: Wenn Gewalt und Beherrschung aus sozialen Verhältnissen herausgenommen werden, werden auch die Menschen weniger zu Gewalt und Unterwerfung neigen. Strafen, Sanktionen, Gefängnisse und Zwangsanstalten sind kontraproduktiv. Sie dienen weder dem Schutz der Gesellschaft noch der Besserung von Menschen, die sich (vermeintlich) falsch verhalten haben, sondern allein der Machtdemonstration des Staates und der Einschüchterung.

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