Umwelt und Macht

RUSSLANDS KRIEG GEGEN DIE UKRAINE - UND DIE ROLLE DER NATO

Zur Rolle von Faschisten in Russland und der Ukraine


1. Einleitung
2. Kritische Texte zum Krieg
3. Zur Rolle von Faschisten in Russland und der Ukraine
4. Im Absurdistan der Kriegsunterstützer*innen

Vorab und damit keine Missverständnisse auftreten: Das Schönreden der Vergangenheit ist ein Wesensmerkmal jedes Nationalismus. Noch heute feiert Deutschland seinen gewonnenen Krieg 1870/71 mitsamt der damals agierenden Befehlshaber ab - und versucht, die Verbrechen im ersten und zweiten Weltkrieg zu verschleiern oder zu relativieren.

Text "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine: Hintergründe und Überlegungen", in: friedlich Nr. 66
Besonders bizarr ist, dass Putin die Entnazifizierung der Ukraine als Kriegsziel nennt, die von Drogenabhängigen und Neonazis regiert werde. Richtig ist, dass es in der Ukraine starke faschistische Gruppen gibt, von denen, wie erwähnt, der Pazifist Ruslan Kozaba überfallen wurde, so dass er sich seitdem verstecken muss. In der Majdan-Bewegung waren ultranationalistische und faschistische Kräfte, darunter die Partei Swoboda und der Rechte Sektor, der in der Tradition der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) der 1930er und 1940er Jahre steht, stark vertreten. Der Faschistenführer Stepan Bandera, in jener Zeit verantwortlich für Massenmorde an polnischer und jüdischer Bevölkerung, wird heute vor allem in der West-Ukraine als Nationalheld verehrt. Nach ihm sind Straßen und Plätze benannt, ihm sind Denkmäler gewidmet. Melnyk, der medial präsente ukrainische Botschafter in Deutschland, ehrte 2015 Bandera an seinem Grab in München.
Bandera, zunächst gewaltsam gegen den polnischen Staat kämpfend, und seine Fraktion der OUN (OUN-B), arbeiteten mit Nazi-Deutschland bis 1941 zusammen. Als Nazi-Deutschland 1941 die Sowjetunion überfiel, proklamierte die OUN-B nach acht Tagen einen unabhängigen ukrainischen Staat und organisierte ein antijüdisches Progrom in Lwiw. Wenige Tage später wurde Bandera verhaftet und kam in ein KZ, allerdings als Ehrenhäftling für etwaige spätere Verwendung. Die ukrainischen Faschisten hätten gern einen mit Nazi-Deutschland verbündeten faschistischen Satellitenstaat errichtet wie in der Slowakei und in Kroatien. Doch die Nazis wollten nicht, dass sogenannte „Untermenschen“, egal ob russisch oder ukrainisch, einen Staat im deutschen Kolonialgebiet errichteten. Ukrainische Faschisten kämpften, wenn sie nicht gerade die polnische und jüdische Zivilbevölkerung abschlachteten, teils eigenständig als Partisanen gegen Nazis, polnische Partisanen und Rote Armee, teils in ukrainischen Einheiten vonWehrmacht und SS.
Paradox ist, dass Bandera die Kollaboration mit den Nazis besonders eifrig von Leuten vorgeworfen wird, die gleichzeitig Stalin als antifaschistischen Kämpfer verehren. Infolge des Hitler-Stalin-Pakts eroberte und annektierte die Sowjetunion Ostpolen, die baltischen Staaten und Teile Rumäniens und lieferte deutsche und österreichische Kommunisten an die Gestapo aus. Die Wehrmacht konnte Westeuropa erobern ohne eine störende Ostfront im Rücken. Die UdSSR lieferte für die Nazi-Kriegsmaschinerie Rohstoffe und Nahrungsmittel. Müsste also nicht auch Stalin ebenso wie Bandera von 1939 bis 1941 als Nazi-Kollaborateur gelten?
Eine Besonderheit des ukrainischen Faschismus sind 2014 entstandene faschistische Milizen, die an die ostukrainische Front gingen. Berüchtigt ist das Regiment Asow, gegründet als militärischer Arm der Sozial-Nationalen Versammlung, zu dem auch ausländische Nazis gehören. Das Regiment Asow wurde in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert. Andrij Bilezkyj, Führer des Regiments Asow, verkündete, einen „Kreuzzug für die weiße Rasse" zu führen, und zwar gegen die "von Semiten geführten Untermenschen".
Bereits 2014 urteilte Roman Danyluk in seinem Buch Kiew Unabhängigkeitsplatz: „Abgelehnt werden die sogenannten ‚europäischen Werte‘, das heißt für die ukrainischen NationalistInnen vor allem die Ablehnung von Liberalität sowie von Rechten für Homosexuelle und Minderheiten. Es ist dabei schon eine bittere Ironie der Geschichte, dass die antirussischen ukrainischen NationalistInnen für Vorstellungen von einem Staat kämpfen, der in Russland durch die Putin-Regierung bereits weitgehend Realität geworden ist.“ Er konstatierte damals schon „eine starke Wesensverwandtschaft der ukrainischen Ultrarechten mit Putin, ihrem angeblich ärgsten Feind.“
Faschisten waren 2014 in Parlament und Regierung der Ukraine stark vertreten, heute nicht mehr. Sie sind zahlreich, gut organisiert und eine Gefahr für Andersdenkende. Wenn der russischen Propaganda nichts Besseres mehr einfällt, wird auf die ukrainischen Faschisten verwiesen, um vom verbrecherischen russischen Angriffskrieg abzulenken.
Besonders lächerlich ist es, wenn ausgerechnet Putin die Ukraine des Neonazismus bezichtigt. Denn wer steht auf der anderen Seite der Front in der Ost-Ukraine, gegen wen kämpfen die ukrainischen weißen Rassekrieger? Zum Beispiel gegen Bleichgesichter von der Russischen Nationalen Einheit, die unter einer Flagge mit Hakenkreuz kämpfen, und zwar "um den Glauben, für die Russen, … gegen die satanischen Pläne der USA“, und „gegen die jüdische Weltverschwörung.“ Dazu kommen diverse andere faschistische und ultranationalistische Milizen wie die Russische Orthodoxe Armee, das Sparta-Battaillon und die Russische Imperialbewegung sowie Kosaken. Der Antisemitismus blüht dort. 2015 erzählte mir ein ostukrainischer prorussischer Teilnehmer der sogenannten Montagsmahnwache für den Frieden in Frankfurt hasserfüllt, dass die bekanntesten politischen Führungspersonen der Ukraine jüdischer Abstammung seien, lange vor Selenskyjs Präsidentschaft. Keine Spinnerei nur eines Einzelnen, sondern im Internet tausendfach zu finden.
Die deutsche und europäische extreme Rechte ist gespalten: Der III. Weg hielt es bisher mit den ukrainischen Kameraden, die NPD entschied sich trotz ihrer Kontakte zur ukrainischen Swoboda für Putins Russland. Zur Beobachtung des sogenannten Referendums 2014 auf der Krim kamen neben Abgeordneten der deutschen Linkspartei europäische Rechtspopulisten. Rechte Parteien aus Europa, darunter NPD, Goldene Morgenröte und Forza Nuova, trafen sich 2015 mit Wohlwollen der russischen Regierung in St. Petersburg. Putins Russland ist Zentrum der interkontinentalen Vernetzung von Rechten aller Art geworden. In EU-kritischen rechten Parteien wie AfD, FPÖ, Lega und Rassemblement National und bei Trump-Fans ist Putin beliebt. Er ist weltweit Identifikationsfigur für die Bewegungen gegen Corona-Maßnahmen und Impfen, für weißen Rassismus und christlichen Nationalismus.
Putin bekennt sich zum russischen Imperialismus und Nationalismus, hat sich eng mit der Russisch-Orthodoxen Kirche verbündet und orientiert sich an faschistischen Ideologen. Er bezieht sich auf den faschistischen Ideologen der 20er und 30er Jahre Iljin und lässt dessen Schriften verbreiten. In Putins Umfeld bewegt sich Aleksandr Dugin, der Vordenker der Ideologie des Eurasismus, die ein eurasisches Großreich unter russischer Führung propagiert. Dugin beteiligte sich an der Gründung der ostukrainischen Republiken und propagiert die territoriale Expansion Russlands. Eurasien ist nicht nur geopolitisch gedacht, sondern auch ideologisch: ein kollektivistisches, völkisches, religiöses, sozial reaktionäres kontinentales Landreich gegen Liberalismus, Aufklärung, individuelle Freiheiten, Menschenrechte und die vermeintliche moralische Dekadenz der westlichen Seemächte. In Abweichung vom traditionell christlichen russischen Nationalismus sollen auch muslimische Völker das eurasische Reich mittragen.
Lange galt Russland als illiberale Demokratie. Nun ist zu prüfen, ob es eine genuin faschistische Diktatur geworden ist.


Zur Frage der Beteiligung von Faschisten auf beiden Seiten des Krieges
Aus "Ein Anti-Kriegs-Einwurf: Einige, zu oft ausgeblendete Aspekte aus antimilitaristischer Perspektive in gebotener Kürze", auf: UntergrundBlättle am 11.4.2022
11. So viel Faschismus wie derzeit war seit 1945 nicht mehr in Europa. In den ukrainischen Streitkräften kämpft bereits seit 2014 ein faschistisches (und teils von der NATO ausgebildetes) Freiwilligen-Regiment, das schon vor Jahren durch massive Menschenrechtsverletzungen bekannt wurde und das beste Beziehungen zu europäischen Neonazis unterhält. Die Seiten des Asow-Regiments und ihres politischen Armes waren zeitweise bei Facebook nicht zugänglich, das hat sich nun vor dem Hintergrund des Krieges wieder geändert – der Zweck heiligt offenbar die Mittel. Vorangetrieben wird in der Ukraine derzeit eine Politik der Ethnisierung. So soll u.a. das Russische aus der Öffentlichkeit verbannt werden (während zu Zeiten der Sowjetunion in der Ukraine auch ukrainisch gesprochen werden konnte).
12. Generell zeigt sich das Ausmass des ukrainischen Nationalismus derzeit wieder deutlich. Er hat eine unrühmliche Geschichte, immerhin kämpften schon im zweiten Weltkrieg ukrainische „Freiheitskämpfer“ an der Seite der Nazis gegen die Russen. Alleine die Waffen-SS-Division „Galizien“ umfasste 22.000 ukrainische Freiwillige. Kaum irgendwo sonst hatte der Nationalsozialismus ausserhalb des deutschen Reiches in der Zivilbevölkerung so viele willige Unterstützer. Deutsche haben im Nationalsozialismus über 25 Millionen russische Menschen umgebracht. Dass die Ukraine nun offensiv Deutsche im Kampf als Freiwillige gegen Russland anwirbt (darunter haben sich auch bereits etliche Neonazis gemeldet), ist vor diesem Hintergrund mehr als nur pikant.
13. Bereits der in der Ukraine mythenumworbene „Euromaidan“-Protest 2013/ 2014 war eine stark von den Rechtsextremen betriebene Bewegung, der für die Faschisten einen neuen Aufschwung bedeutete. Bis heute gibt es, nicht zuletzt ausserhalb des Asow-Regiments, reichlich Neonazis in der Ukraine. 2019 wies Amnesty International darauf hin, dass Präsident Selenskyj kein Interesse hatte, etwa Roma vor rassistischen Angriffen zu schützen (www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/ukraine-regierung-hat-rechtsextreme-nicht-unter-kontrolle). Selenskyj traf 2019 Mitglieder der neofaschistischen, antisemitischen C14-Bewegung, die u.a. für Angriffe auf Roma-Lager verantwortlich ist (en.wikipedia.org/wiki/S14_(Ukrainian_group). Und noch 2022 traf sich Selenskyj mit Angehörigen der rechtsextremen, homophoben, rund 10.000 Mitglieder zählenden Bewegung „Rechter Sektor“ (zur Bewegung siehe de.wikipedia.org/wiki/Prawyj_Sektor).
14. 2019 wurde in der Ukraine zum „Stepan Bandera Jahr“ ausgerufen, zur Erinnerung an den Nazi-Kollaborateur, der als Nationalheld verehrt wird und nach dem in den letzten Jahren grosse Strassen benannt wurden. Die intensiven Beziehungen zwischen den ukrainischen Neonazis, der Regierung und der Gesellschaft sind hier nachzulesen. Angesichts dieser Tatsachen sind die Rechtsextremen kein „Fake-Narrativ“ (der ukrainische Botschafter in Berlin, auch er übrigens bekennender Bandera-Fan). Putins Verweise auf ukrainische Faschisten haben also eine sehr reale Grundlage – auch wenn die „Entnazifizierung“ ein vorgeschobenes Argument ist, zumal auch in Russland viele Rechtsextreme aktiv sind. Einziger Vorteil der allgegenwärtigen Rechtsextremen und des überbordenden Nationalismus auf beiden Seiten: die deutschen Rechten sind echt verwirrt, welcher Seite sie sich zuschlagen sollen – so viele Angebote überall, das erschwert die Einigkeit.



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