Polizeidoku Gießen

INTRO

Herzlich willkommen zu einer Lektüre, die keinen Spaß machen wird


1. Herzlich willkommen zu einer Lektüre, die keinen Spaß machen wird
2. Broschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit"
3. Wenn Gentechnik Häuslebauen wäre ...
4. Gute und böse Gentechnik?
5. Stichwort- und Personenverzeichnis
6. Fussnoten
7. Die Chronik des K(r)ampfes
8. Aus einer Schrift der DFG ... mit Kommentaren
9. Seilschaft im Fernsehen
10. Theoriebücher aus dem SeitenHieb-Verlag zum Thema und rundherum

Ich entschuldige mich bereits im Vorwege für schlaflose Nächte. Selbst die, die ihre rosa Brillen längst abgelegt haben und das Geschehen in der Gesellschaft mit einem skeptischen Blick beäugen, könnten angesichts der Fülle doch ein bedrückendes Gefühl entwickeln. Aber bitte zürnen Sie nicht dem Überbringer der schlechten Nachrichten. Im Geflecht von Konzernen, Lobbyisten, Behörden und im Gewand der Wissenschaftlichkeit auftretenden TitelträgerInnen ist leider nichts anderes zu berichten. Das gilt auch für aktuelle Geschehnisse - also der letzten Monate oder Jahre.

Schlechte Nachrichten
Schauen wir einmal zurück, z.B. ins Jahr 2010. Da gab es etliche formale Durchbrüche. Nach langer Zeit wurde in der EU wieder eine gentechnisch veränderte Pflanze zum kommerziellen Anbau zugelassen - die Kartoffel Amflora. Manipuliert in den Laboren von BASF. Abgefeiert wurde das als "Meilenstein für Innovationen", wie es BASF-Gentechnikchef Marcinowski vorsagte und von allen Fangemeinden in FDP, wirtschaftsnahen Medien und Lobbygruppen nachgeplappert wurde. Unglaublich, was hier als Fortschritt abgefeiert wurde, denn die Amflora enthielt eine Technik (Antibiotikaresistenzen als Marker), die zum Zeitpunkt der Zulassung selbst nach EU-Beschlusslage nicht mehr ausgebracht werden sollte. Aber was kümmert das die BerufsjublerInnen der Biotechnologiebranche. Sie hatten einiges zu bejubeln: Brokkoli kam vors Patentamt, wo ein Kuhpatent und eines auf Sonnenblumen bestätigt wurden. Damit nähern sich Gentechnik und die Besitzergreifung des Lebens (denn die meisten Patente laufen auf gentechnik unveränderte Tiere oder Pflanzen) neuen Dimensionen. Sie an anderer Stelle schon weiter fortgeschritten sind. Denn einfach nur erschreckend war eine Zahl, die ebenfalls im Frühjahr 2010 durch die Gazetten rauschte: In nur vier Jahren (2006-2009) haben Konzerne Landkäufe in armen Ländern dieser Welt getätigt, die der Größe von einem Drittel der Landfläche Europas entsprechen. Das tun sie sicherlich nicht, um den Menschen dort das Land zu geben und selbstbestimmte, bäuerliche Landwirtschaft zu ermöglichen. Sondern es ist mit Patenten und anderen Handlungen eine große Operation, um die gesamte Produktionskette der Lebensmittel unter Kontrolle zu bringen und der totalen Verwertung zu unterwerfen. (siehe auch führere Artikel in der SZ vom 22.7.2009 und in der FR vom 24.8.2009).
Lobbyverbände, es gibt viele davon, machen von morgens bis abends nichts anderes als Werbetrommeln zu rühren für ihr Thema. 2010 erblickte ein neuer das Licht der Welt: Das Forum Grüne Vernunft (FGV). Uwe Schrader, schon Chef von InnoPlanta, ist auch hier mal wieder Vorsitzender. Klaus Minol aus dem Darmstädter Knotenpunkt der Gentechnik-Seilschaften hat die Internetseite angemeldet und die SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige BASF-Mitarbeiterin Doris Barnett mischte kräftig mit. Ein Chef-Lobbyist wechselte zur EFSA, der europäischen Genehmigungsbehörde für Lebensmittel, u.a. gentechnisch veränderte Saaten, Futter- und Nahrungmittel: Klaus-Dieter Jany, auch Vorsitzender des Wissenschaftlerkreises Grüne Gentechnik - eine eher laute Lobbygruppe.
Doch das alles wirkt harmlos gegenüber den Schreckensmeldungen der Auskreuzung 2010: Erst erwischte es die Schokolade, dann folgte der große Maisskandal. Der hatte es in sich: Behörden vertuschten die Informationen und ermöglichten so - absichtlich oder schludrig - die Aussaat. Als Folge waren auf etlichen Feldern vieler Bundesländer die Maisfelder verunreinigt. Sie mussten schließlich niedergemäht werden, auf Anweisung der Behörden. Der Vorgang zeigte: Die Gentechnik ist nicht aufzuhalten, solange Felder mit gv-Pflanzen bestehen. Der Mais stammte von der Firma Pioneer - wahrscheinlich von Versuchsflächen in Osteuropa. Das reichte für großflächige Verbreitung. Was aber machten die, die dafür verantwortlich sind oder diese Technik überall einführen wollen? Sie überdachten ihre bisherige Haltung nicht, sondern legten noch eine drauf: Die Verunreinigung würde zeigen, dass die Gentechnik ohnehin nicht mehr zu verhindern sei und deshalb endlich höhere Grenzwerte her müssten, damit alles legal und ungestört weiter verseucht werden könne. Das ist so, als würde BP, weil der Konzern das zerstörte Bohrloch im Golf von Mexico nicht dichten kann, stattdessen die Erhöhung des zulässigen Verschmutzungswertes von Öl in Ozeanen fordern würde. Das würde wohl einigermaßen Ärger erzeugen - in der Agro-Gentechnik aber ist genau diese Politik Alltag!
Dass selbst Versuchsfelder reichen, um weltweite Verunreinigungen auszulösen, ist spätestens seit 2006 klar. Damals gelangte ein Reis namens LL601 der Firma Bayer in Lebensmittelpackungen rund um den Globus. In einer großen Aktion mussten riesige Mengen aus den Supermarktregalen zurückgerufen werden. Den Konzern kostete das inzwischen zig Millionen allein an Schadenersatzzahlungen. Das Bemerkenswerteste und auch Bedrückendste aber war: Reis ist ein Getreide, dass zu den sogenannten Selbstbestäubern gehört - also die Arten, die sich bei weitgehend geschlossener Blüte selbst bestäuben. Gerste und Weizen sind das auch. In der Natur ist aber nie etwas ganz geschlossen, dennoch sind es diese Pflanzen, die die geringste Neigung zur selbständigen Ausbreitung haben. Alle anderen jedenfalls, also z.B. Mais oder noch stärker Raps, schaffen das viel schneller. Und nun gelang ein solcher Selbstbestäuber, der dazu nur auf kleinen Versuchsäckern in Nordamerika angepflanzt wird, innerhalb weniger Jahre weltweit in die Ladenregale. Wer will da noch behaupten, Koexistenz sei möglich und Auskreuzung beherrschbar? Schon kleine Versuchsfelder reichen, um alles zu verunreinigen!
Noch eine Neuerung der letzten Zeit ist wichtig: Es gab erstmal Knast für Gentechnikgegner! 4x mussten sie 2009 am Gefängnis antreten - und das ist erst der Anfang. Am 9. Oktober verhängte das Landgericht Gießen eine halbjährige Haftstrafe wegen einfacher Sachbeschädigung an gv-Pflanzen. Ohne Bewährung. Weitere solche und noch höhere Abschreckungsurteile sind in Planung. Das ist das Schwert des starken Staates, der mangels Argumenten und wegen geringer Wirkung der millionenteuren Propaganda seine BürgerInnen wenigstens durch Angst davon abhalten will, das zu verhindern, was vielen Eliten dieser Gesellschaft eine Herzensangelegenheit ist: Die bäuerliche Landwirtschaft zu zerschlagen und das Leben zum Gegenstand des ewigen Spiels um Profit und Kapitalakkumulation zu machen ...

Wie kann das sein, angesichts einer Ablehnung der so durchgesetzten Technik von 80%? Wobei diese Umfragewerte ja noch beschönigend sind. MancheR glaubt, dass folglich 20 Prozent diese Technik auf Acker und Teller haben wollen. Aber weit gefehlt: Die zweitgrößte Gruppe in den Umfragen ist die Weiß-nicht-Fraktion. Durchschnittlich 14 Prozent antworten so. Bleiben also 6 Prozent, die Agro-Gentechnik richtig wollen. Und dieser kleinen Minderheit gelingt es, fast alle gesellschaftlichen Ressourcen für ihr Projekt einzusetzen. Wie schaffen die das?
Es soll hier nicht der Eindruck vermittelt werden, es gäbe dafür eine einfache Erklärung oder nur einen Grund. Gesellschaftliche Verhältnisse sind immer komplex. Einfache Erklärungsmodelle oder gar die Reduzierung der Ursache unerwünschter Zustände auf kleine Runden böser Marionettenspieler sind zwar modern. Aber sie schonen vor allem den eigenen Kopf. Mit der Lage da draußen in den gesellschaftlichen Machtsphären hat das wenig zu tun. Und daher ist auch die Durchsetzung der Agro-Gentechnik nicht eine Wirkung mit einer Ursache, sondern die Seilschaften sind ein Mosaikstein im Desaster. Es gibt andere - und die seien kurz genannt, damit sie nicht vergessen werden. Denn politischer Widerstand und Aktion sind auch dort nötig.

1. Profit- und Machtstreben sind alltäglich
Die Zerschlagung bäuerlicher Landwirtschaft ist ebenso wenig eine Erfindung der Gentechnikindustrie wie die Ausrichtung des ganzen Lebens auf die Interessen von Profit und Macht. Das passiert seit langem - und weil es jeden Winkel der Gesellschaft durchdringt, ist es Alltag geworden. Es löst keine Aufstände mehr aus, wenn Menschen entmachtet werden, Medien nur noch den Anzeigenkunden folgen, Hochschulen nach Standortinteressen ausgerichtet und Menschen als Humankapital gedacht werden. Ob Pharmabranche oder Sport - alles pure Macht- und Profitwelt. Warum sollte da die Agro-Gentechnik eine Ausnahme machen? Und warum sollte dort nicht gelingen, was überall anders auch weitgehend reibungslos über die Bühne geht? Eine Widerstandskultur gegen die Vermarktwirtschaftlichung des Lebens hat es zumindest in diesem Land noch nie gegeben. Verbände und Parteien sind höchstens Begleitfolklore des scheinbar Unaufhaltbaren. Diese Schwäche wirkt sich auch jetzt aus.

2. Starker Staat: Geld, Sofortvollzug, Polizei und Justiz
Da ist da ein starker Staat. Dessen Machtmittel sind vielfältig und weitreichend. Die größte Wirkung hat das Geld. Und schon da wird deutlich, wohin der Wind weht. 7 Mio. € Forschungsförderung hätte es 2008 für den ökologischen Landbau gegeben, 165 Mio. € für die Gentechnik - kritisiert die BÖLW. Wer dann noch Inge Broer zuhört, wie sie völlig ungeniert einräumt, wie betreibe "Forschung in der Gentechnik, weil es dafür Geld gibt", weiß, welche Wirkung dieses Geld hat. Doch das ist nicht alles. Freisetzungen in Deutschland werden mit Sofortvollzug genehmigt. Einwendungen und Klagen von NachbarInnen oder LandwirtInnen der Umgebung haben keine aufschiebende Wirkung mehr. Wehren sie oder andere sich dann doch, stehen die uniformierten Ordnungstruppen des Staates bereit. Sie schützen nie die Menschen vor den Pflanzen, sondern immer die Pflanzen vor den Menschen. Eine Umdrehung weiter greift dann die Justiz ein: GentechnikgegnerInnen werden mit Ermittlungsverfahren überzogen, über die Abschreckungsjustiz der Strafgerichte ist schon einiges gesagt. Wenn ein Gentechnik-Seilschafter sich auch nur beleidigt fühlt durch eine Kritik, so ermittelt gleich das Landeskriminalamt - so geschehen zugunsten von Uwe Schrader und gerichtet gegen mehrere GentechnikgegnerInnen. Verwaltungsgerichte winken gv-Anlagen durch und Zivilgerichte werden zu willfährigen UnterstützerInnen der GentechnikbetreiberInnen. Sie halten Protest per einstweiligen Verfügungen von den Versuchsflächen ab. Zivilrecht ist auch die Maulkorbklage gegen die Kritik an den Seilschaften. Geld geben, Schutztruppen schicken und KritikerInnen einschüchtern - das ist der staatliche Support für die unerwünschte Gentechnik.

3. PR-Strategien, die leider wirken: Expertismus, Mythen und seltsame Einteilungen
Mensch muss es den wie Werbeagenturen auftretenden Lobbygruppen und WissenschaftlerInnen auf der Gentechnikseite lassen: Märchenschreiberlinge sind sie alle. Verkaufen können sie ihre Stories auch ganz gut. Und immer wieder fallen skeptische Menschen, sogar GentechnikkritikerInnen und Umweltverbände auf die Masche herein. Da wäre zum Beispiel die Neigung, aus jeder Debatte einen „Experten“-Dialog zu machen. Penetrant wird nach mehr Sachlichkeit gerufen und möglichst die Debatte auf komplizierte Studien über Genome, chemische Reaktionen usw. gelenkt. Von den KritikerInnen wird eingefordert, endlich belastbare Nachweise für Gefahren auf den Tisch zu legen. Und viele lassen sich darauf ein, stammeln dann von Studien herum, über die sie nur Bruchstücke kennen - und am Ende laufen sie Gefahr, nach allen Regeln der Diskussionskunst auseinandergenommen zu werden. Irgendwann gibt es dann Meldungen besorgter Menschen, ob denn nicht Risiken verbleiben - so für die Umwelt oder wegen Allergien - und die Kinder nicht vergessen. Ja, sagen dann die GentechnikerInnen sinngemäß, diese Ängste sind verständlich und müssten Ernst genommen werden. Deshalb sei mehr Forschung nötig zu den Umwelt- und gesundheitlichen Wirkungen. Am Ende steht dann eine scheinbare Einigkeit, des erst einmal mehr Versuche erfolgen müssen - und damit ein Freibrief, die Pflanzen draußen zu verbreiten. Natürlich nur wegen der Risikoforschung, ist ja klar. Vergessen wurde die handfesten Gründe gegen die Agro-Gentechnik, die da lauten: Zerschlagung bäuerlicher Landwirtschaft, Abhängigkeiten, Ende der Wahlfreiheit für VerbraucherInnen. Und niemand frage mehr nach Argumente für die Agro-Gentechnik. Risiken und Nebenwirkungen dürfen höchstens dann in Kauf genommen werden, wenn dem ein beträchtlicher Nutzen gegenüber steht. Wo aber ist der? Schade - in der Debatte um Genome und irgendwelche möglichen Risiken in 17 Jahren wurde diese Frage mal wieder nicht beantwortet ...
In den seltenen Fälle, wo KritikerInnen doch auf einer Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Agro-Gentechnik oder eines konkreten Feldes beharren, stehen mit einer seltsamen Penetranz zwei Antworten im Mittelpunkt: Die Gentechnik sei ein wichtiges Mittel gegen den Hunger - und das konkrete Feld, um dass der Streit vielleicht tobt, diene der Sicherheitsforschung. Schauen wir uns diese zwei Behauptungen einmal näher an. Zunächst der Mythos „Hungerhilfe“ - eine beeindruckende Irreführung. Denn sie enthält gleich zwei Lügen. Zum einen die, dass Gentechnik gegen den Hunger helfen soll, und zum anderen, dass sie überhaupt den Hunger helfen könnte. Beides stimmt nicht. Gegen den Hunger helfen kann Gentechnik nicht, weil das nur ginge, wenn Hunger irgendetwas mit der Gesamtmenge von Nahrungsmitteln zu tun hätte. Hat es aber nicht. Es gibt in allen Großregionen dieser Welt genügend Möglichkeiten zur Nahrungsmittelgewinnung. Er wäre besiegt, wenn die Menschen Land erhielten und für sich bzw. den regionalen Güteraustausch produzieren dürften. Insofern ist auch das Gerede von der Verteilungsfrage ungenau. Die Verteilung ist oft das Problem - handelt es sich doch um einen hochvermachteten Vorgang, bei dem ja gerade die riesigen Nahrungsmittel- und sonstigen Produktströme z.B. von Südamerika oder Afrika Richtung Norden das Problem schaffen. Nein, Hunger ist immer organisiert und mit Gewalt durchgesetzt: Kriege, patriarchale Strukturen, Vertreibung, Umweltzerstörung oder Zerschlagung eigenständiger Wirtschaft sind die Ursachen. Hunger ist daher, strafrechtlich gesehen, immer Mord. Politisch gewollter aber, daher wird er nicht geahndet. Mit Gentechnik lässt sich aber kein Krieg, kein Patriarchat, kein organisierter Massenmord verhindern. Doch selbst wenn es möglich wäre, es wäre auch gar nicht erwünscht. Mangel ist in einer profitorientierten Ökonomie wichtig. Er treibt die Preise hoch. Darum werden Lebensmittel weggeschmissen und Saatgut künstlich verknappt. Es gibt kein Interesse an der Abwesenheit von Hunger. Hätten genügend Menschen Land und Möglichkeit, eigenes Saatgut zu züchten, so wären die Mägen voll. Und die Kassen von Monsanto, KWS und anderen leerer. Staaten und ihre Machtapparate sind dafür da, die Kassen wichtiger zu machen als die Mägen. Um die Profite zu erhöhen, wird nicht an Techniken für vollere Mägen, sondern für vollere Kassen geforscht. Eines der ersten großen Forschungsziele der Agro-Gentechnik war die Unfruchtbarmachung des Saatgutes. Diese Idee hatten die GentechnikerInnen nicht erfunden - der Kampf um das Aus des freien Zugangs zu Saatgut schwelt schon lange und ist in den Begriffen von Hybrid, Nachbaugebühren und Sortenschutz wiederzufinden. Doch mit der Gentechnik witterten die Konzerne ihre Chance. Erstmal konnte durchgehend technisch verhindert werden, dass LandwirtInnen einfach einen Teil ihrer Ernte behalten und wieder aussäen. Oder, noch dreister, selbst anfangen würden, mit dem Saatgut zu züchten. Jetzt sollte das Saatgut sich nach einmaligem Aussäen selbst umbringen, d.h. steril werden. Jedes Jahr müssten dann die Bäuerinnen und Bauern neues Saatgut kaufen - welch ein Geschäft. Für alle die, die dazu das Geld nicht hätten, würde es das Aus bedeuten. Diese Technik wäre daher eine Operation zur Erzeugung von Hunger gewesen. Massenmord der eleganten Art. Das Ziel war aber durchschau. Die Idee erhielt deshalb den bösen Beinamen "Terminatortechnologie" und musste schließlich gestoppt werden. Scheinbar jedenfalls - denn längst ist die Technik zurück, unter neuem Namen und verpackt als Ökohit. Denn, durchaus richtig, das sich selbst umbringende Saatgut kann sich per Durchwuchs in der Natur nicht ganz so gut ausbreiten. Also ist es jetzt ein Ökohit, großzügig gefördert aus dem Biosicherheitsprogramm der Bundesregierung und mit dem schönen Namen "Confinement" versehen. Doch der wirtschaftliche Nutzen für die Konzerne wird der Gleiche bleiben ...
Schauen wir auf die zweite PR-Lüge, die der Biosicherheit. Das Wort werden Sie fast überall hören, wo Protest gegen konkrete Felder entsteht. Mensch kann im ganzen Land herumfahren, die Felder besuchen (nicht zu nahe ran, von kommen die Ordnungstruppen von Papi Staat, dass die Anwälte von Monsanto & Co. und schließlich die Zivilgerichte, um ihnen ihre Neugier auszutreiben!) - fast überall kommt das beruhigende: Hier geschieht Sicherheitsforschung. Tatsächlich überzeugt das. Die Versuchsfelder, die angeblich der Erforschung von Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit dienen, sind akzeptierter. Wer will schon dastehen als KämpferIn gegen die Erforschung der Risiken? Doch eigentlich müsste schon die Tatsache, dass deutsche Gentechnik fast nur in Form von Sicherheitsforschung in der Landschaft vorkommt, stutzig machen. Wie kann das sein: Nirgendwo werden Pflanzen oder Verfahren entwickelt, vielerorts aber die Umweltauswirkung der - von der Logik her - nie entwickelten Pflanzen? Kann so nicht stimmen. Und stimmt auch nicht. Wer sich die Sicherheitsforschungsfelder genauer anguckt, stellt fest, dass hier andere Sachen untersucht werden als die, wofür das Geld geflossen oder der Genehmigungsbescheid ausgestellt ist - oft wird sogar gar nichts geforscht. Die Felder sind einfach nur da. Deutsche Gentechnikfelder sind fast alle illegal und Fördermittelbetrug, weil mit falschen Angaben betrieben. Doch es lohnt sich, Felder als Sicherheitsforschung zu deklarieren. Aus zwei Gründen. Erstens gibt das Geld, denn das Biosicherheitsprogramm ist das aktuell lukrativste Förderprogramm für Freisetzungen in Deutschland. Nehmen wird ein Beispiel: Für 9,6qm transgener Gerste, also eher ein kleines Beet, kassierte die Uni Gießen 352.000 €. Als dann alles nicht richtig klappte und ein Teil wiederholt werden musste, gab es noch 301.000 € Nachschlag. Da wird sich mancher überlegen, ein kleines Beet anzulegen. Für die Universitätsinstitute der Landwirtschaft und der Biologie, die vor dem Biotechnologiehype schwer gebeutelt wurden, eröffnen sich durch all die Gentechnikgelder brilliante Perspektiven finanzieller Art. Dennoch ist das nicht der einzige Grund, sein Feld als Sicherheitsforschung zu deklarieren. Der andere die höhere Akzeptanz, die das Feld dann hat. Das treibt seltsame Blüten. Am 21.7.2009 sprachen sich die Spitzen der Umwelt- und Biolandbauverbände in einer Presseinfo für mehr Sicherheitsforschung aus. Da fast alle Felder genau unter diesem Label liefen, forderten die NGOs schlicht mehr Genversuchsfelder. Das war nicht ihr Ziel, aber das Ergebnis ihrer unkritischen Sichtweise. Inge Broer freute sich sofort öffentlich. Das Schlimmste: Die Verbände wiederholten ihre Forderung noch mehrmals, z.B. im kritischen Agrarbericht 2010. Auch die Grünen forderten immer wieder mehr Sicherheitsforschung, ebenso verkündeten Kirchenleute nach einer Tagung in der Evang. Akademie Tutzing am 12.11.2009, als Forderung, dass die Forschung "im Bereich der Risikoforschung intensiviert wird." Das geschah trotz zunehmender Kritik aus Basisgruppen auch dieser Verbände und Parteien. Doch die Apparate erwiesen sich einmal mehr als beratungsresistent.
Bleibt ein weiteres Problem, nämlich das einer merkwürdig unvollständigen Wahrnehmung der Gentechnikfirmen. Seit Jahren gibt es einen Begriff, der die ganze Fülle von Wut, Ablehnung und die Materialisierung des Bösen schlechthin darstellt: MONSANTO! Wer das Wort benutzt, hat hohe Aufmerksamkeit und fast alle Leute auf der eigenen Seite. So manche Feldbesetzung wurde unterstützt, weil die Leute etwas gegen Monsanto hatten - völlig gleichgültig, ob das Feld überhaupt etwas mit Monsanto zu tun hatte. Und der Film zu Monsanto (der gut ist!), wäre wahrscheinlich weder vom Europapropagandasender arte unterstützt noch überhaupt so häufig angeschaut und vorgeführt worden, wenn er "KWS. Mit Gift und Genen" gehießen hätte. Dieser Monsantohass trieb seltsame Blüten. Die Karte der Genfelder, die Greenpeace durch die Jahre verbreitete, enthielt die deutsche Gentechnik nicht. Eine besondere Begründung dafür wurde nie gegeben. Es fällt aber nicht schwer, hier die Handschrift der für Spendeneingänge zuständigen Abteilungen der Verbandszentrale zu vermuten. Den Vogel schoss aber jemand anders ab, der damals (Frühjahr 2009) noch Bundesumweltminister war und jetzt marode Organisationen aufpäppelt. Als Sigmar Gabriel noch seines Amtes waltete, saß er in einem Ministerrat der EU. Dort wurde darüber abgestimmt, ob Mitgliedsstaaten der EU den eigentlich zugelassenen MON810 für ihr Land verbieten können. Gabriel stimmte dem zu - für Deutschland eine ungewöhnliche Sache. Also wurde er gefragt, warum er das getan habe. Er antworteteam 2. März 2009: "„Ich kann den gesellschaftlichen Mehrwert der Genprodukte von Monsanto nicht erkennen“. Und fügte hinzu - grad so, als gäbe es BASF, Bayer und KWS gar nicht: „Man stelle sich vor, diese Debatte um Gentechnik-Produkte gäbe es in den USA, und die einzige Firma, die ein Interesse daran hätte, dieses Präparat dorthin zu verkaufen, wäre eine europäische: Ich möchte einmal wissen, ob der amerikanische Kongress sich derart ins Zeug legen würde zur Verfolgung europäischer Wirtschaftsinteressen eines einzelnen Unternehmens, wie es jetzt die EU-Kommission zur Verfolgung der Wirtschaftsinteressen eines amerikanischen Unternehmens tut.“ Wenige Tage später ging Gabriel in seinem Heimatländle auf Firmenbesuch. In Einbeck flanierte er durch die Gewächshäuser der deutschen Gentechnikfirma KWS Saat AG. Nun fand er etwas andere Worte, wie das Göttinger Tageblatt an 12.3.2009 berichtete: „'Wir wollen gentechnisch veränderte Pflanzenzucht auf jeden Fall zulassen', so der Minister, 'aber nicht mit Kollateralschäden in der Natur.' Forschung in diesem Bereich sei unabdingbar. Denn den Herausforderungen, die die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung und ihr Energiehunger stellten, könne man anders kaum beikommen." So teilte er präzise in gute und böse Gentechnik. Peinlich für ihn, dass die KWS ihre gv-Pflanzen zusammen mit Monsanto entwickelt. Gabriel hatte also die gleichen Pflanzen im Blick, deklarierte sie nur als nützlich, wenn deutsch, und unnütz, wenn US-amerikanisch. Kann es sein, dass sich BASF, Bayer und KWS im Schutz des Monsantohasses ganz wohl fühlen?

4. Fehler und absichtliche Selbstschwächungen aus Verbandskalkül

Zwei strategische Fehler der GentechnikkritikerInnen seien noch erwähnt. Es sind nicht alle, aber zwei wichtige, die aufzeigen, dass einige Gründe für die Durchsetzungsschwäche der 80 Prozent hausgemacht sind. Der eine ist eine merkwürdige Schwerpunktsetzung auf das Ende der Produktionskette. Hauptthema von Umweltverbänden, Bewegungsagenturen, gentechnikkritischen Parteien und den - dabei nicht selbstlos handelnden - Biolebensmittelfirmen ist das Kaufverhalten. Nun ist bewusstes Einkaufen durchaus eine der möglichen politischen Handlungsoptionen im Alltag und hätte auch den Biohandel positiv beeinflussen können, wenn KundInnen mehr auf Transportwege, Arbeitsbedingungen bei Anbau oder auch im Bioladen selbst sowie auf umweltgerechte Verpackung geachtet hätten. Doch im Fall der Agro-Gentechnik entsteht aus der Schwerpunktbildung eine gefährliche Illusion gentechnikfreier Inseln. Wenn, woran es keinen Zweifel gibt, die Ausbreitung gentechnisch veränderter Konstrukte ein selbständig ablaufender, dynamischer und beschleunigender Prozess ist, machen - polemisch zugespitzt - Etiketten auf Verpackungen nicht viel mehr Sinn wie Schilder in der Landschaft mit dem Aufdruck "Bienen: Bitte um dieses Feld herumfliegen!" Solange die Ausbreitungsquellen vorhanden sind, kommt das Zeug auch irgendwann beim Ladenregal an. Umweltbewusstes Einkaufen bleibt trotzdem richtig - aber es wäre ehrlicher, dazu zu sagen, dass niemand Gentechnikfreiheit garantieren kann, sondern die sich draußen an den Quellen zur erkämpfen lässt.
Eine zweite, erhebliche Schwächung der Gentechnikkritik sind ständige Abgrenzungen und Distanzierungen. Das ist nur scheinbar eine Folge unterschiedlicher politischer Vorstellungen. Die bestehen zwar auch, z.B. zwischen AnhängerInnen staatlicher Regulierung und denen, die lieber eine Dezentralisierung politischer Macht oder gar deren Auflösung wollen. Vielen geht es vor allem um gesundheitliche Aspekte, andere stellen den Herrschaftsgehalt der aktuell angewendeten Gentechnik in den Mittelpunkt. Doch die Hauptgräben liegen woanders - nämlich zum einen in platten Hegemonialkämpfen und Labelsetting. Wer das Thema nutzt, um nach WählerInnenstimmen oder Spenden zu jagen, wird automatisch alle anderen als Konkurrenz im begrenzten Markt der SpenderInnen, Mitglieder oder WählerInnen sehen. Das eigene Label muss in den Vordergrund, die eigenen RednerInnen nach vorne usw. - da stören andere nur. Getreten wird nach unten, d.h. gegenüber kleineren Gruppen und selbstorganisierten Kreisen. Wer sich die Präsenz von Organisationen und FunktionärInnen in Medien, auf Kundgebungen und anderen Anlässen anschaut, wird das Missverhältnis zu ihrer Präsenz an den Versuchsfeldern oder bei konkreten Aktionen schnell erkennen. Hinzu kommt ein seltsamer Trend vieler Organisationen, seriös und normal sein zu wollen. Dahinter steckt die Erwartung, dann eher ernst genommen zu werden. Dafür gibt es zwar keinerlei Hinweise, dass das überhaupt stimmt, aber es spielt eine große Rolle. Die Folge: Distanz zu allen "Unseriösen", d.h. denen ohne feste Ordnung, den Unberechenbaren - und Distanz zu allen, die direkte Aktionen machen oder befürworten. Denn zur seriösen Politgruppe gehört die Abstinenz vom direkten Handeln. Öffentliche Distanzierung begleiten seit Jahren jede Feldbesetzung und -befreiung. Die Agro-Gentechniklobby dürfte es jedesmal wieder gefreut haben ...

5. Der Filz ...
Neben den genannten und weiteren Gründen spielen aber natürlich auch die unglaublichen Verflechtungen zwischen Behörden, Konzernen, Lobbyverbänden und sogenannter Forschung eine Rolle bei der Durchsetzung der Agro-Gentechnik. Und damit geht es auf den weiteren Seiten. Das Wissen darum kann Wut machen. Das muss nicht das Schlechteste sein.

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