DIE DEMOKRATIE ÜBERWINDEN, BEVOR SIE SICH SELBST ABSCHAFFT - ZUM SCHLIMMEREN!
Kap. 4: Aufbruch
Die Demokratie überwinden ... ● Kap. 0: Intro, Fragestellung ● Kap. 1: Massen-demokratisch ● Kap. 2: Demokratischer Alltag ● Kap. 3: Retten und scheitern ● Kap. 4: Aufbruch ● Quellen (mit aktiven Links) ● Über den Autor ● Presse und Rezensionen ● Links zum Thema
Erster Teil einer Artikelreihe zu den Inhalten im Buch „Die Demokratie überwinden, bevor sie sich selbst abschafft – zum Schlimmeren!“ von Jörg Bergstedt (SeitenHieb-Verlag) - mit ausgewählte Zitaten aus dem Teil 4 "Aufbruch" des Buches. Der Text und die Zitate dürften frei verwendet werden - um Quellenangabe wird gebeten.
Zusammenfassung des Teils 4: Aufbruch
Aus der ProjektwerkstattDie Glorifizierung der Demokratie versperrt den Blick auf die in der Demokratie selbst liegenden Probleme. Viele Ursachen und damit auch Lösungsmöglichkeiten bleiben verschleiert. Wenn aber Fehlentwicklungen falsche Ursachen zugeordnet werden, sind Gegenmaßnahmen meist nicht wirksam. Insofern ist der geringe Erfolg versuchter Abwehr der aktuellen Auflösungserscheinungen demokratischer Systeme nicht überraschend. Der Weg in eine autoritäre Republik ist mit den aktuellen Mitteln nicht aufhaltbar. Vielmehr braucht es Mut und Ideen, die Grenzen der Demokratie zu überschreiten. Dabei hilft, dass nicht bei Null angefangen werden muss. Einige Experimente, Konzepte und historische Beispiele deuten mögliche Wege in eine emanzipatorische Zukunft an. Dazu gehören einige Mechanismen bei Bürger*innenräten. Die Losverfahren schaffen echte Chancengleichheit und schützen damit vor den in der Demokratie üblichen Tendenzen zur Aristokratie. Werden sie mit Kriterien zur Repräsentanz aller und speziell auch der für das jeweilige Thema relevanten Bevölkerungsgruppen verbunden, können sie die Diversität an Meinungen und Lebenssituationen ebenfalls viel besser abbilden als gewählte Gremien. Vor allem aber machen Los- und Auswahlverfahren klar, dass die so zusammengekommene Runde an Menschen nicht das „Volk“ als Ganzes darstellt – und sich auch nicht als solches bezeichnet Damit sind einige wichtige Schwächen des Demokratischen entschärft. Mehr als eine gedankliche Anregung folgt aus den Bürger*innenräte bislang aber nicht. Dazu achten die Eliten an den Hebeln der Macht zu genau darauf, dass Beteiligung stets außerhalb wirklicher Einflussmöglichkeiten stattfindet.
Ein internationaler Rundblick zeigt mehr. In einigen Teilen der Welt wurden veränderte Entscheidungsmuster nicht nur auf Nebenplätzen eingeführt. Als die Zapatistas Anfang 1994 das mexikanische Militär aus einigen Regionen des Landes vertrieben, setzten sie auf konsequente Dezentralisierung und Selbstverwaltung der lokalen Communities. Etliche Jahre später entwickelten vor allem kurdische Organisationen im Norden Syriens ähnliche Konzepte, standen aber ebenso wie die Zapatistas unter ständigem militärischem Druck, im Falle Nordsyriens vor allem des Nato-Mitglieds (!) Türkei. Dennoch zeigten und zeigen diese beiden nach wie vor laufenden Experimente, dass Veränderungen möglich sind, sie im Alltag auch funktionieren und eine Gesellschaft wegbringen können vom ständigen Ringen um Macht und Profit. Wer in der Geschichte wühlt, findet weitere Beispiele, auch auf dem Gebiet des jetzigen Deutschlands – ganz auffällig in Nachkriegssituationen, was noch etwas anderes zeigt: Der Wegfall von Herrschaft kann Gutes bewirken.
Ob groß oder klein – Experimente und Konzepte, die die demokratischen Beschränkungen in eine emanzipatorische Richtung überwinden, brauchen viele neue Verfahren der zwischenmenschlichen bis gesamtgesellschaftlichen Aushandlung. Dezentralisierung, Selbstverwaltung und Losverfahren gehören dazu. Entscheidend wird zudem eine deutlich bessere Kommunikations- und speziell Streitkultur sein. Die auf Profit und Macht ausgerichtete Gesellschaft mit ihrem konstruierten Gemeinwillen weist starke Defizite oder sogar ein totales Unvermögen im Umgang mit Vielfalt, den Eigenarten und Unterschiedlichkeiten der Menschen auf. Rassismus und Sexismus sind nur die häufigsten bzw. besonders auffällige Varianten einer durchgreifenden sozialen Grundordnung von Anpassung und ständigen Versuchen, den Menschen ihre Besonderheiten auszutreiben. Hier, und nicht im technischen Sektor, besteht der größte Bedarf an Innovationen, um Vielfalt und gerade die Eigenarten der Menschen zu fördern sowie in einen konstruktiven und kooperativen Austausch zu bringen.
Da die meisten Privilegien auf der Logik von Eigentum (Maschinen, Firmen, Boden, Wissen usw.) beruhen, werden Alternativen dazu vorrangig zu entwickeln sein. Der Fetisch um das Privateigentum ähnelt einem religiösen Gebot – mensch denke an Strafgesetze, die Menschen ins Gefängnis bringen können, wenn sie weggeworfene Lebensmittel retten. Daher dürfte der Widerstand aus den Führungskreisen der überall eng mit dem Kapitalismus verwobenen Demokratien sehr groß sein. Experimente mit Commons, offenen Räumen, besetzten Fabriken und geschichtliche Erfahrungen mit Allmende können Hinweise bieten, wo Ansatzpunkte bestehen und wie eine Veränderung angestoßen werden kann.
Last but not least wird es großer Erzählungen bedürfen. Demokratie und Kapitalismus haben sich in die Köpfe gefressen. Erstere gilt als das Gute und Erstrebenswerte schlechthin, zweitere wird wie ein Naturgesetz als unverrückbare Grundlage allen Wirtschaftens, ja oft allen Handelns überhaupt betrachtet. Der demokratische Weg ins Autoritäre wird nur verhindert werden können, wenn viele Menschen begreifen, dass der Ausweg in die entgegengesetzte Richtung der viel attraktivere ist. Krampfhaft an der Demokratie festzuhalten und alle gut gemeinten Neuerungen als Dienst an der Demokratie zu bewerben, macht echten Fortschritt nicht nur sehr schwierig, sondern ist auch eine dumme PR-Strategie. Schließlich wird dadurch allem, was eine bessere Zukunft bringen könnte, der Mief des Bestehenden umgehängt. Es braucht den Mut, offen zu benennen, dass die bessere Zukunft jenseits des jetzigen Entwicklungsstadium von Gesellschaften liegt. Demokratie ist nicht die beste aller Staatsformen – und ihre Defizite müssen nicht zum Rückfall in vordemokratische, autoritäre Strukturen führen. Menschen können Besseres, wenn sie sich weder Diktaturen noch der entwürdigenden Vereinheitlichung in eine Masse namens „Volk“ unterwerfen.
Dieser Text ist die Zusammenfassung des Kapitels „Aufbruch“ im aktuellen Buch „Die Demokratie überwinden, bevor sie sich selbst abschafft – zum Schlimmeren!“ von Jörg Bergstedt (SeitenHieb-Verlag, 2025). Die weiteren Kapitel des Buches bieten umfangreiche Ausführungen und Belege, warum Demokratien an sich selbst scheitert, warum sie menschlichkeitszerfressenden Wirtschaftssystemen wie dem Kapitalismus und populistischen Strategien eine so gute Plattform bietet und auf welche Weise eine klare Analyse ebenso verhindert wird wie der Ausbruch aus dem demokratischen Teufelskreis.
- Gliederung und Infos zum Buch: demokratie-ueberwinden.siehe.website
- Erklärung zur is-Sprache: is-sprache.siehe.website
Auszüge aus Teil 4: Alternativen und Aufbruch
Kapitel zu „Wir sind schon unterwegs“ (S. 206)
Den echten Sprung nach vorne zu wagen, statt ständig am bestehenden System herum zu reparieren, klingt wagemutig, für viele sicherlich auch überfordernd. Viel zu stark gewöhnt haben wir uns daran, dass Reformen und Reförmchen nur aus Maßnahmen bestehen, von denen Politik und Öffentlichkeit eigentlich wissen, dass sie das Problem nicht lösen werden. Den Motortyp austauschen statt einer echten Verkehrswende, die Zäune um Europa erhöhen statt Fluchtursachen bekämpfen, Überfluss an Nahrungsmitteln nach Afrika schiffen statt über Landreformen den Menschen die Subsistenz zu ermöglichen – all das sind Beispiele, wie Politik mit zaghaften Korrekturen das Problem mehr verschiebt als löst. Unzählige solcher Fälle ließen sich aufführen. Wie kann es da gelingen, über das demokratische Zeitalter hinaus zu einer herrschaftsfreien Welt zu schreiten? Schließlich ginge es da ums Ganze, also nicht nur um Teilfelder gesellschaftlicher Gestaltung, in denen Politik, Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft ständig versagen.
Eine Antwort lautet: Wir sind schon unterwegs. Und diese ersten Ansätze können Mut machen, auch wenn sie noch sehr klein sind. Aber sie zeigen bereits, dass die Überwindung demokratischer Prinzipien neue und interessante Spielräume ermöglichen kann und wird.
Kapitel zu „Reibung erzeugt Wärme“ (S. 264)
Kreativ-provokante Aktionen haben das Potential, mit wenig Aufwand und vor allem mit wenigen Beteiligten viel Aufmerksamkeit zu erzeugen und Debatten damit erst in Gang zu bringen. Das ist bei vielen Themen bitter nötig. Erst wenn eine gesellschaftliche Auseinandersetzung schon breit geführt wird, steigen die großen Player ein. Aber wie da hinkommen? Die Aktionsmethoden des „Direct-Action“ sind dafür unerlässlich. Sie erlauben kleinen Gruppen und Minderheiten, politische Anliegen groß zu machen.
Richtig ist allerdings auch, dass das Potential provokanter Aktionen verschleudert würde, fehlten die Inhalte – und dazu gehört auch das „Dafür“, also die Perspektiven und Möglichkeiten für fortschrittliche Projekte und Entwicklungen. Angesichts der überlegenen Ressourcen staatlicher Macht und kapitalistischer Konzerne können provokante Aktionen nur über ihre symbolische Ausstrahlung und den Einfluss auf Wirtschaftlichkeit, politische Entscheidungen oder Diskurse wirken. Das schließlich Störung oder Zerstörung als Aktionsform nicht aus, ihr Wert liegt aber in der hohen Aufmerksamkeit und die dadurch gesetzten, lauten Fragezeichen, die inhaltlichen Positionen oder Forderungen oder die Werbung für mutige Schritte in eine bessere Zukunft. Wenn es dann noch gelingt, Mut und Ideen zu vermitteln für mehr als das konkrete Problem, zu welchem die direkte Aktion stattfindet, ist die Sache rundum gelungen. Als in den Nuller Jahren Genversuchsfelder besetzt wurde, erklang nicht nur eine laute Kritik an der kapitalistischen Verwendung der Risikotechnologie. Vielerorts wurde auch für solidarische Landwirtschaft und Gemeinschaftseigentum an Höfen geworben, was immer wieder utopische Ziele aufblitzen ließ.
Aus dem Abschlusskapitel (S. 272)
Die Uhr tickt. Die Autoritären gewinnen an Boden – und das autoritäre Denken gleich mit. An der Parteienlandschaft ist das gut zu sehen: Die rechten Parteien legen dramatisch schnell zu, obwohl oder weil die anderen Parteien auch nach rechts rücken bzw. autoritäre Ideen von Aufrüstung, Grenzsicherung, Abschiebung, Überwachung, härteren Strafen, sozialen Kürzungen und vielem mehr in ihrem Köcher haben. Beten für die Demokratie hilft nicht – aber genau das prägt die Reaktionen im Anblick des Abgrunds. Die Massendemonstrationen, Petitionen und Appelle in den Medien sind gebetsähnliche Mischungen aus Ohnmacht, Verzweiflung und Anflehen irgendwelcher nicht handlungsfähigen oder gar nicht vorhandenen Entitäten.
Von der Demokratie zurück in autoritäre Formen – nein!
Von der Demokratie vorwärts in die emanzipatorische Zukunft – ja!
Oder kürzer: Vorwärts immer, rückwärts nimmer!
Vor dieser Wahl stehen wir jetzt. Nichtstun ist auch eine Entscheidung, und zwar die falsche. Es überlässt den autoritären Kräften das Feld. Der Ausbau demokratischer Strukturen liefert ihnen, gut gemeint, aber schlecht gemacht, neue Möglichkeiten. Eine leuchtende Gegenutopie jenseits des grauen Einerleis heutiger Zeit kann Menschen wieder abholen, die zweifeln, verzweifeln, aufgeben oder in ihrer Angst komplett dysfunktionale Lösungen und Hoffnungen hegen. Konkrete Ideen und Schritte bieten die Chance, viele Menschen zu überzeugen, dass es klappen kann. Und dass die Unkenrufe derer, die vom Desaster profitieren, nicht stimmen.

