Projektwerkstatt

WELTGIPFEL IN JOHANNESBURG (“RIO+10“)

Nachhaltige Umweltbildung


1. Nachhaltigkeit: Argument für die Modernisierung der Demokratie
2. Was ist Nachhaltigkeit?
3. Die Inhalte von Nachhaltigkeit und Agenda 21: Mehr Atomtechnik, mehr Gentechnik, universelle Lebensentwürfe
4. Nachhaltig marktfetischistisch
5. Nachhaltige Umweltbildung
6. Governance, Runde Tische, Zivilgesellschaft: Hilfe, noch mehr Demokratie droht!
7. NGOs: Schwach, anbiedernd, inhaltsleer:  Umwelt-NGOs als Akzeptanzbeschafferinnen von Staat und Wirtschaft
8. Aufruf zu Aktionen gegen Rio+10

Der folgende Text stammt aus dem Kapitel "3.5 Umweltzentren, -büros, -institute, -werkstätten usw." und beschreibt die Auswirkungen der Debatte auf die Bildungsinhalte und -formen.

Die Themen: Vom klassischen Umweltschutz zum modernen Lifestyle
Ausgangspunkt der Umweltbildung waren die klassischen Themen vom Artenschutz bis zur Atompolitik. Die Vielzahl selbstorganisierter Seminare sowie nur einzelfallweise mit Staatsgeldern unterstützter Bildungsangebote war kaum überschaubar - viele Gruppen gaben eigene Seminarprogramme heraus. Im Laufe der 80er Jahre setzte sich als Stil der Bildungsarbeit eine sehr schulische Form durch, unterstützt durch gezieltere Geldvergabe von Staat und Stiftungen, die feste Seminarabläufe, frontale Wissensvermittlung sowie oft naturkundlich-wissenschaftlich ausgerichtete Maßnahmen einforderten. Hinzu kamen Fördermittel für feste Stellen in Einrichtungen, deren Aufgabe wiederum die Zentralisierung und damit auch Kontrolle von Bildungsmaßnahmen war. In der Folge klaffte eine immer größere Lücke zwischen Seminarthemen und veranstaltern und den tatsächlichen politischen Auseinandersetzungsfeldern. Bildungsarbeit entfernte sich von politischen Bezügen, praktische Aktion entleerte sich aufgrund der Trennung inhaltlich zusehends. Die unabhängige Jugendumweltbewegung von ca. 1985 bis 1994 war die letzte Phase, innerhalb derer Seminar- und Aktionsinhalte aufeinander bezogen waren.
Ende der 80er Jahre erfaßt eine Esoterik- und Lebensstil-Welle die Gesellschaft. Dabei waren es vor allem reichere Schichten, die sich Themen wie alternativen Heilverfahren, Therapien oder höheren Mächten zuwendeten. Die Esoterik war eine Reaktion auf die zunehmende Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft. Eine besondere Bedeutung erlangten esoterische Themen, Selbsterfahrungs-, Meditations- und esoterische Kreise auch in der Umweltbewegung, da hier Resignation und Ziellosigkeit ausgebrochen waren. Jedes vierte verkaufte Buch stammte zeitweise aus esoterischem Gebiet.2 Therapieformen und gruppen wuchsen wie Pilze aus dem Boden, die Menschen zahlten unglaubliche Preise für höhere Erkenntnisse. Das merkten auch solche Bildungseinrichtungen, die bislang ökologische Themen anboten. Etliche nahmen spirituelle Angebote in ihr Programm auf: Tiefenökologie, Meditation, Umwelt und Psychologie oder Tai Chi hießen einige der Themen. Kaum ein Seminarprogramm oder ein Kongreß hatte nicht einen erheblichen Anteil solcher Workshops, Tagungen und Seminare. Auch im praktischen, handwerklichen Bereich wechselte das Angebot. Kochen, Schuhe nähen, Massage oder Seidenmalerei verdrängten klassische Naturschutzthemen und praktische Tipps, z.B. zu ökologischem Gemüsebau, Fahrradbasteln oder Solaranlagenbau immer mehr.3
Mitte der 90er Jahre kam ein zweites Thema hinzu, das Seminar- und Bildungsinhalte zu Dominieren begann: Die gesamte Spanne von Nachhaltigkeitsthemen, Agenda 21 bis hin zu modernem Lifestyle. Noch deutlicher als die zielgerichtete Mittelvergabe für entpolitisierende Bildungsangebote in den 80ern war staatliches Geld der Auslöser. Umweltverbände, Wissenschaftsläden, Umweltinstitute, zentren usw. wurden zu Anbietern der gesellschaftliche Machtstrukturen völlig ausblendenden Bildungsangebote zur Nachhaltigkeit. Fast alle Fördergelder setzten diesen Bezug voraus, die Umweltverbände und einrichtungen folgten willig. Aus UmweltberaterInnen und pädagogInnen wurden Agenda -ModeratorInnen oder AnbieterInnen dazu passender Bildungsangebote. Wer seinen Job im Umweltbildungsbereich retten wollte, mußte den Schwenk zum neu vorgegebenen Thema mitmachen. Angesichts der Dominanz der Hauptamtlichen in den meisten Umweltzentren und einrichtungen ließ sich das auch ohne Probleme durchsetzen.4

Anmerkungen
2 Anteil der Esoterikbücher und Lebensratgeber am gesamten Buchmarkt. Umweltschutzliteratur ist dagegen seit Mitte der 90er Jahre fast unverkäuflich.
3 Das Ökowerk Berlin bietet tiefenökologische Kurse an. In den Programmen der BUNDjugend tauchen spirituelle Themen auf (Tai Chi u.a.) und auf den landes- und bundesweiten Kongressen der Jugendumweltbewegung sind Meditationen und Bastelkurse am besten besucht - beginnend bereits auf dem Festival AufTakt 1993 in Magdeburg (siehe Kap. 3.6).
4 Ein prägnantes Beispiel ist die Evangelische Akademie Loccum. Seit Mitte der 90er Jahre stellt sie zunehmend eine wichtige Plattform für den Wandel gesellschaftlicher Debatte insgesamt und auch des Umweltschutzes hin zu einem markt- und staatsorientierten Kurs dar. Die Harmonisierung von Konflikten über moderne Vermittlungsverfahren prägt alle Seminare, bei denen es Nachhaltigkeit, die Verbindung von Ökologie und Ökonomie oder positive Bezugnahme auf die Expo 2000 ging. Eingeladen als ReferentInnen waren immer die RepräsentantInnen von NGOs, Firmen und Regierungen. BasisakteurInnen tauchten nicht auf, kritische Briefe wurde mit Beschimpfungen beantwortet.

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