Projektwerkstatt

RÜCKBLICK: UTOPIE-ZELTSTATT GEGEN DIE NORMALITÄT (26.8 - 4.9.03 IN GIESSEN)

Nachbetrachtungen, Berichte, Auswertungen... wie war's für Beteiligte?


1. Zwischen Staatsmacht und visionären Ausblicken
2. Was waren die Ideen?
3. Planung und Berichte: Was ging ab?
4. Was abging ... Das war der Service-Teil
5. Nachbetrachtungen, Berichte, Auswertungen... wie war's für Beteiligte?
6. Kommentare auf Indymedia (unter dem letzten Bericht)
7. So sah's aus ... mehr Bilder auf Indymedia (siehe: Berichte)
8. Widerständiger und kritisch-utopischer Treffpunkt im Gießener Umsonstladen

Auszug aus einer Mail ("Gemischte Gefühle - Nachbetrachtungen zum sog. UtopieCamp"):

Gegenöffentlichkeit: Das UtopieCamp war "Streetwork", also Öffentlichkeit direkt. Es war auffällig und bunt - besonders in die Richtung ging auch der gehende Pavillon in den ersten Tages (wo anderes verboten war). Dennoch glaube ich, dass Gegenöffentlichkeit noch mehr ausgebaut werden sollte. Letztlich war es vor allem begründet in dem Mangel an Möglichkeiten (Zeit, Kraft, Menschen ...), dass wir keine Ausgabe der Zeitung mit hinbekommen haben. Sicherlich ist es zur Zeit auch nur von einigen der strategischen Personen vorstellbar, dass sie so etwas umsetzen. An Radio (Freies Radio durchsetzen, Piratenradio machen) oder den Offenen Fernsehkanal ist zur Zeit wohl kaum zu denken. Dazu fehlen strategisch agierende Menschen, die es hinbekommen, für so ein Camp ein Projekt so zu organisieren, dass es auch steht, wenn es losgeht. Ich würde aber gerne darüber diskutieren, wie wir mit Gegenöffentlichkeit weitermachen - also ob wir ein Zeitungsprojekt starten, uns für ein Freies Radio einsetzen oder mit dem Offenen Kanal was zusammen machen. Konkret heißt das natürlich immer: Ob es konkrete Menschen gibt, die das anpacken - auch vielleicht genau mit der Idee neu begeisterte Menschen.

KünstlerInnen: Naja, das war wohl ein Flop. Ich fand, es wurde viel zu wenig Musik gemacht und sowieso nie andere Formen von Kunst verwirklicht. Denkmäler, Skulpturen, Staffeleien - das hätte alles gut gepasst. Meine Enttäuschung über das komplette Wegbleiben der kulturellen Szenen ist groß. Keine Ahnung, warum das so war und wie das zu ändern wäre. Bei einigen ist klar, dass sie Schisser sind und nur dort agieren, wo der Rahmen abgesichert ist. Aber bei vielen ist das wohl nicht der Grund.

Strategiemängel und Pannen: Immer wieder waren die ständigen Aussetzer und die mangelnde Aufmerksamkeit für die Lage der Dinge Thema. Hier hat sich oft Streit entbrannt. Ich habe mehrmals meine Frustration ausgedrückt. Ich will das noch mal erklären, warum ich da so angenervt war. Ich habe es so empfunden, dass in vielen Situationen viele Beteiligte gar nicht versucht haben, einen Blick auf das ganze Geschehen zu werfen (Meta-Ebene: Wo stehe ich? Was geschieht um mich herum? Welche Möglichkeiten des Handelns gibt es? usw.). Dadurch entstanden immer wieder unfassbare Situationen: Menschen guckten zu, wie Materialien naß regneten oder reagierten nicht, als Zelte weggeweht wurden, Geschirr im Mülleimer landete usw. Auch die vier ersten Verhaftungen gehen auf das Konto "Metaebene ausgeschaltet". Davon gab es superviele Vorgänge. So gab es weder Musik noch Strom noch Wasser noch viele andere Dinge, weil sich niemand drum kümmerte - obwohl es bereits mehrfach geklärt war. Der Videoabend ist ein ähnliches Beispiel, wo Menschen glauben, etwas im Griff zu haben, wenn eigentlich nix klar ist. Die verpennte Eingabe an das Verwaltungsgericht war die wohl folgenschwerste Panne dieser Art. Ich würde mir wünschen, dass Menschen sich trainieren darauf, den Blick und die Aufmerksamkeit so zu auszuweiten, dass sie nicht nur ihr unmittelbares Umfeld wahrnehmen, sondern auch gucken, wer sonst noch da ist, was möglich oder auch nötig wäre. Das würde auch informelle Hierarchien abbauen, denn zur Zeit sind es meist dieselben, die versuchen, alles im Blick zu haben, die Lücken erkennen und die dann immer selbst oder durch Hinweis an andere zu stopfen versuchen. Und dass die, die etwas übernommen haben in freier Vereinbarung, selbst gucken, ob sie das auch hinkriegen und sich sonst rechtzeitig melden, um Unterstützung bitten usw.

Gelungene autonome Bereiche: Um die strategische Kritik wiederum zu relativieren, will ich auch benennen, dass ich viele Teile bemerkt habe, die immer wieder selbst liefen, also keinen großen Eingriffs derer, die die Metaebene hatten, bedurften. Beispiele sind das Umsonstessen, der Frisörsalon und der Umsonstladen. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass mehr Menschen bewusster ihr Tun und Lassen organisieren - und sich damit emanzipieren von denen, die sonst immer den Rahmen sichern, in dem Mensch auch dann erfolgreich agiert, wenn ständig Pannen auftreten. Die Abhängigkeit von "CheckerInnen" zu überwinden finde ich genauso wichtig wie die Abhängigkeit von Plena, die eine sehr ähnliche Funktion haben - immer wieder zu überprüfen, ob auch alles klappt, sprich alle funktionieren. Schöner fände ich Aktionen, die bausteinartig aus den durchaus unterschiedlichen, aber möglichst weitgehend selbstorganisierten Teilen mit den Ideen der Beteiligten bestehen. Dann müsste noch der Infofluss verbessert werden (war auf dem UtopieCamp teilweise sehr schlecht, weil Infoboards fehlten und das Schlafcamp kein Treffpunkt war, da immer mehr Leute in die kuscheligen Privatzimmer der WG umziehen wollten und dort erst sehr spät aus den gemütlichen Betten krochen, während die Isomattenfraktion aus den Zelten längst schon gestartet hatte ...).

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