Stiftung Freiräume

WIDERSTAND ALS UTOPISCHES FELD

Einleitung


1. Einleitung
2. Emanzipatorische Organisierung und Strategie
3. Widerstand ... ohne sich an Machtkämpfen zu beteiligen
4. Und was heißt das praktisch?
5. Wer schafft den Wandel?
6. Links

Dieser Text ist Teil der Gesamtabhandlung "Freie Menschen in Freien Vereinbarungen" ... zum Anfang und zur Gliederung

An jedem Ort dieser Gesellschaft wirken die verschiedenen Muster der Fremdbestimmung, seien es Hierarchien, Normen, Diskurse, ökonomische Zwänge oder Erwartungshaltungen. Nicht nur Staat und Konzerne, sondern alle Menschen können als Ausführende und MitträgerInnen solcher Beherrschungen dienen - und tun es auch regelmäßig. Gleiches gilt für Organisationen und alle Kräfte in gesellschaftlichen Subräumen. Schon von daher besteht eine unmittelbare Verbindung zwischen politischer Bewegung und den herrschenden Verhältnissen, denn je Gruppe, Partei oder Organisation, auch Netzwerke und einzelne Projekte sind ein gesellschaftlicher Subraum, an dem die "Norm"alität wirkt.
Genau deshalb aber kann jeder Teil politischer Bewegung nicht nur Forderungen stellen und für Verbesserungen eintreten, sondern auch selbst zur Kampfzone um Befreiung und Selbstentfaltung werden. Hierarchien, Wertlogiken und Diskurse strahlen überall hinein, sind also auch dort zu finden, wo wir uns versammeln, um politisch aktiv zu sein. Immerhin sind diese Orte nicht, so wie viele andere in der Gesellschaft der Hierarchien, Funktionseliten und gesteuerten Diskurse, unserem Einfluss so stark entzogen, sondern werden von uns mitgeprägt. Eine Priorität zum Anfang erwächst daraus nicht - aber warum sollte mensch die Möglichkeiten auslassen, die besonders naheliegend sind? Dazu gehört die politische Bewegung selbst. Der Ort, von dem der Impuls zur Veränderung von Gesellschaft, deren Subräumen oder Diskursen ausgehen soll, kann auch selbst einer der Veränderungspunkte sein. Oder er ist, zwar Veränderungen einfordernd, ein Spiegelbild der Normalität - und damit, weil "Norm"alität nur existiert, wenn sie sich als Mischung von Deutungen und Verhaltensweisen durch viele Punkte der Gesellschaft zieht, selbst ein Teil der Ursache.

Normalsein im Zeitalter globaler Umbrüche
Können Sie sich noch (gesetz dem Fall, Sie sind alt genug) an die Zeit scheinbarer Alternativlosigkeit erinnern? Als der Sieg des Marktkapitalismus über den als Sozialismus oder gar Kommunismus verklärten Staatsmonopolkapitalismus zum von der britischen Premierministerin Thatcher ausgerufen TINA-Syndrom ("there is no alternative") führte? Alles war der totalen Verwertungslogik, der “Anbetung” von Markt und Profit unterworfen. Dann kam der Aufstand der Zapatistas, ab 1994 in Chiapas (Mexiko), mit dem Überraschungserfolg 1999 in den Straßen von Seattle löste sich die Erstarrung sogar in den Industrienationen. Doch inzwischen hat sich der Wille zur Veränderung schon wieder gelegt - ist kanalisiert in freundliche Normalität ausstrahlenden NGOs. Dabei wäre aller Anlass zu einer kämpferischen Stimmung gegeben. Der Kapitalismus wirkt krisengeschüttelt, zumindest hat er seine blinde Gefolgschaft in Parlamenten und Medien verloren. Selbst die so mächtig erscheinenden Banken gerieten ins Schlingern. Doch was geschah? Fast alle haben geweint, gezetert und Hiobsbotschaften verbreitet, als die ersten bankrott gingen - statt zu feiern. Ob linke Parteien oder die aus der selbsternannten Mitte: Fast alle forderten die Rettung der Banken - wenn auch auf unterschiedliche Art.
Wer fordert heute noch andere Mobilitätssysteme und freut sich deshalb über eine siechende Automobilindustrie? Nein - die Umweltprämie kommt, eine als Ökohit verschleierte Subventionsmaßnahme für die Autobauer. Umweltverbände schreiben Ranglisten über weniger krasse Umweltverpester und rufen die Presse zu peinlichen Kooperationsprojekten mit Autokonzernen.

Die Menschen sind aufgesogen in neue, Protest verwaltende Organisationen. MontagsdemonstrantInnen gingen in der Partei Die Linke auf, Proteste gegen Atomkraft und Stuttgart 21 werden von starken Magneten wie grüner Partei und modernen Bewegungsagenturen angezogen. Das Spiel, Unzufriedenheit in Spenden, Mitgliedschaften und WählerInnenstimmen umzuwandeln, beherrschen die modernen Führungsapparate perfekt. Sie treten, legitimiert durch nichts, sondern einfach kraft ihrer privilegierten Kontakt zu Medien und MultiplikatorInnen, wie selbstverständlich als Sprachrohre der Massen auf. Wie leicht sich solche Vereinnahmungen dann wiederum selbst vereinnahmen lassen, zeigte brillant die Schlichtung durch Heiner Geißler, CDU- und Attac-Mitglied (welch praktische Kombination zur Harmonisierung von Konflikten). Sie bot viel Anschauung, um kritisch über die Binnenstrukturen und Strategien politischer Bewegungen nachzudenken. Warum sollen emanzipatorische Ideen ausgerechnet dort bei den internen Strukturen Halt machen, obwohl die Umsetzungsmöglichkeiten besonders gut wären? Gilt die Parole "Eine andere Welt ist möglich" nur für die Anderen?

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