Stiftung Freiräume

KURZNACHRICHTEN ZU REPRESSIONSTHEMEN

2025


Übersicht und Kontaktformular 2025 2024 2023 2022 2021 2020 2019 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007

Verfasst im Januar - für Contraste im März 2025
EGMR: Plastikfolie im Gesicht bei Versammlung keine Straftat
Ein Demonstrant trug ein Plastikvisier vor dem Gesicht und wurde deshalb wegen Verstößen gegen das Schutzwaffenverbot verurteilt. Das verletze seine Versammlungsfreiheit, urteilte jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Darüber berichtete Legal Tribune online: „Bei der Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Demonstranten müssten die Gerichte die Versammlungsfreiheit berücksichtigen und entscheiden, ob eine strafrechtliche Verurteilung verhältnismäßig und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, so der EGMR. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Die nationalen Gerichte hätten zwar die Meinungsfreiheit berücksichtigt, aber die Versammlungsfreiheit nicht mit dem verfolgten Ziel, nämlich der Verhinderung von Unruhen und Gewalt, abgewogen. Zudem hätten sie nicht dargelegt, warum das Tragen eines behelfsmäßigen Visiers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gewesen sein soll.“ Der Anwalt des Betroffenen resümierte: „Mit diesem Urteil wird klargestellt: Schutz gegen Polizeiwillkür ist ein Menschenrecht.“ ++ Quelle und genauer Bericht

Reportage zeigt Gewalt in Psychiatrien
Eine RTL-Undercover-Reportage aus dem Buttlarhof bei Kassel deckt gravierende Missstände in der psychiatrischen Pflege auf: Ein junger Mann mit Autismus wird stundenlang fixiert und sogar geohrfeigt. Überforderte, ungeschulte Pflegekräfte und fehlende Unterbringungsplätze verschärfen die Lage weiter (youtu.be/hLiBCC70IeA). Das gezeigte Einzelbeispiel steht laut Auskunft von Psychiatrie-Erfahrenen exemplarisch für weit verbreitete Defizite. Eine Sammlung von Fällen findet sich unter anti-zwangspsychiatrie.siehe.website.

Zweimal keine Strafe für Autobahn- und Straßenblockaden
Offensive Verteidigungsstrategien machten es möglich: Weder die klassische Anklebeaktion der Letzten Generation auf der Konrad-Adenauer-Brücke in Gießen noch die spektakuläre Autobahnabseilaktion über der A9 zum IAA-Auftakt 2021 mit Überkleben der großen Verkehrsschilder wird zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. In beiden Verfahren haben Angeklagte, Laienverteidiger*innen sowie im ersten Fall auch Anwälte die Anklagepunkte haarklein zerlegt, was am Ende zu Einstellungen ohne weitere Auflagen führte. Merkmal beider Aktionen war, dass sie deutliche, auf den konkreten Ort bezogene Forderungen benannten, die hohe Außenwirkung entfalteten. Der Meinungsbildungscharakter überwog die Blockade. Das war in Gießen auch Folge der Beteiligung örtlicher Verkehrswendeaktiver. Beispiel für einen Bericht des ersten Prozesstages in Freising (A9-Aktion)

Tipp: Selbstladeverfahren in Strafprozessen
Zweimal haben Menschen in Gerichtsverfahren gegen sie erfolgreich das sogenannte Selbstladeverfahren angewendet. Danach ist es möglich, für einen Gerichtstermin Menschen (z.B. Prominente) zu laden, die vermutlich nicht kommen wollen und die auch das Gericht schonen würde. Einmal betraf es den VW-Monarchen Wolfgang Porsche, ein anderes Mal verschiedene Politiker in Heidelberg und Heidelberg Materials CEO Dominik von Achten. Um die Ladung zu vermeiden, zogen Gericht bzw. die Konzern-Anwält*innen die Notbremse – und die Prozesse wurden abgesagt. Hier aus der Feder eines Beteiligten eine kleine Anleitung (leicht überarbeitet): ihr solltet mindestens 2 Wochen Vorlauf haben, besser 4 oder mehr, weil den Gerichten und Hinterlegungsstellen dieser Vorgang wenig geläufig ist. Ihr füllt das Hinterlegungsformular am Amtsgericht eurer Wahl aus (dort erfahren oder auf deren Internetseiten zu finden). Dann müsst Ihr die möglichen Kosten hinterlegen (also Aufwandsentschädigung für die von euch geladenen Zeug*innen), 100-300 Euro bei Menschen mit hohem Stundenlohn ist ein Vorschlag. Zur Sicherheit müsst Ihr noch euch oder eine zweite Person mit angeben, damit das Geld auch bei euch wieder ankommt, falls es nicht zum Prozess kommt oder die Zeug*innen die Ladung ablehnen. Schreibt dem Gericht (eurer Richterperson und Hinterlegungsstelle) noch, wofür das Geld ist und warum die Person geladen werden soll. Holt euch eine Bestätigung mit Zahlungsaufforderung, überweist dann oder zahlt es in bar ein. Dann kriegt ihr die Bestätigung („Hinterlegung_zahlungsbeleg_geschwärzt“). Schreibt nun eine Ladung für die Person, die ihr laden wollt – einfach so, wie gerichtliche Ladungen auch aussehen. Aber nicht an die Person schicken, sondern die Ladung mit physischer Unterschrift, originaler Zahlungsbeleg und, wenn ihr wollt noch ein Anschreiben, an den/die Gerichtsvollzieher*in, welche*r für die Adresse von des/r Zeug*in zuständig ist. ++ Rechtliche Tipps zum Selbstladeverfahren

Verfasst im März - für Contraste im Mai 2025
A Better Place – lohnenswert, auch wegen der Fehler
Der WDR hat eine Serie produziert, die das Schauen lohnt. In der fiktiven Rheinstadt startet das Experiment „Trust“, bei dem alle Gefangenen eine Haftanstalt entlassen, aber so unterstützt werden, dass ihnen Wohnung, Arbeit bzw. Ausbildung und therapeutische Hilfe sicher sind. Das Experiment geht schief (im Film), aber es zeigt vieles realistisch: Die Hürden, auf denen Haftentlassene stoßen, nur heute meist allein, einsam und verloren. Die Stigmatisierung in der Gesellschaft. Die Politik, die ihre Fahne in den Wind hängt. Und der anschwellende Rachemob, den es oft schon auf den Zuschauer*innenbänken in Gerichtssälen sowie ständig in den Medien gibt. Einige Male hat er sich schon so drastisch entwickelt wie im Film, zum Beispiel im kleinen Dorf Insel bei Stendal – nur dass dort der CDU-Bürgermeister am Mob mitwirkte. Nicht falsch, aber deutlich übertrieben und damit nicht mehr überzeugend werden die Bevölkerung und das Spektrum der Haftentlassenen dargestellt. Das seien ja keine Schwarzfahrer, schimpft ein aufgebrachter Bürger. Tatsächlich stellen aber Nicht-Gewaltdelikte die große Mehrzahl der Inhaftierten. Im Film gibt es sie gar nicht, so dass die Serie eher ein Beitrag zur Angstmache ist, dass Gefangene ganz böse Menschen sind oder zumindest waren. Was ebenfalls fehlt: Die Kriminalität all derer, die für Strafe und Ordnung eintreten, aber nicht im Knast landen – vom Gehwegparken bis zu Übergriffen im Familienkreis. Komplett falsch ist das seltsame Ergebnis, dass fast alle Entlassenen in ihrem sozialen Umfeld wieder klarkommen. Das ist in der Realität ganz anders und eines der größten Problem von Haftstrafen. Die Eingesperrten werden aus ihren Kontexten gerissen und verlieren ihre Motivation, sich auf das Leben draußen vorzubereiten.
Trotzdem: Gucken lohnt – und streiten über solche Ideen, die utopisch wirken, aber doch die einzig reale Option sind, aus dem Desaster des Status Quo herauszukommen.

Justiz schützt Staatsmacht: Polizei beschlagnahmt Handy, wenn sie gefilmt wird
Das OLG Zweibrücken hat am 30.06.2022 (Az. 2 Ss 62/21) entschieden: Wird mit einem Mobiltelefon eine Audioaufnahme von einer Polizeikontrolle angefertigt, so begründet dies den Anfangsverdacht für eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Polizei ist in einem solchen Fall berechtigt, das Mobiltelefon zu beschlagnahmen (urteile.news/Beschluss34805).

Vorwurf der kriminellen Vereinigung macht Einzelanklagen unmöglich
Der Bundesgerichtshof hat eine frühere Rechtsprechung verändert und nun festgelegt: „Der Tatbestand der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung verbindet grundsätzlich alle von dem Mitglied in deren Interesse ausgeführten Handlungen zu einer einzigen Tat im sachlich-rechtlichen Sinne. Weitere hierdurch verwirklichte Tatbestände werden zu Tateinheit verklammert.“ (Beschluss 3 StR 189/24 vom 14.11.2024) Damit dürften Einzelanklagen gegen Aktive der Letzten Generation eigentlich nicht mehr zugelassen werden, da diese aktuell als kriminelle Vereinigung verfolgt wird. Allerdings hat sich zum Beispiel das Amtsgericht Bad Cannstatt daran nicht gehalten.

Buchvorstellung: „JGG Jugendgerichtsgesetz“
Der NomosHandkommentar, so der Reihentitel des Werkes von Bernd-Dieter Meier u.a, ist fast 1000 Seiten stark und 2024 erschienen (Nomos in Baden-Baden, 119 €). Er beinhaltet eine sehr ausführliche Darstellung der einzelnen Paragraphen und ihrer bisherigen Auslegung in Urteilen, Beschlüssen und juristischen Fachaufsätzen. Abgehandelt werden die verschiedenen Verfahrensabläufe von Ermittlungs- und Hauptverfahren sowie Jugendstrafvollzug unter Beachtung der relevanten Rechtsgebiete wie StPO, GVG, SGB VIII und Jugendstrafvollzugsrecht. Die zum 100jährigen Jubiläum des JGG erschienene 3. Auflage gehört zu den leuchtend roten Kommentaren des Nomos-Verlages, die in etwas einfacherer Sprache daherkommen als „Kollegen“ anderer Verlage. Sie werden vor Gerichten so gut wie nie genutzt, können aber für alle, die nicht auf das jeweilige Rechtsgebiet spezialisiert sind, gerade deshalb sehr wertvoll sein. Das umfangreiche Stichwortverzeichnis erleichtert das Auffinden der relevanten Stellen.

Versammlungsrecht
Das Verwaltungsgericht Dresden hat in einem Beschluss vom 12.3.2025 nochmals klargestellt, was immer schon galt, aber oft von Polizei oder Versammlungsbehörden missachtet, auch von politisch Aktiven selbst mitunter falsch eingeschätzt wird: „Für das Vorliegen einer Versammlung kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob auch als solche angezeigt wurde. Vielmehr bemisst sich dies nach den tatsächlichen Umständen und dem entsprechenden Charakter einer Zusammenkunft. Dabei ist es auch unerheblich, dass der Kläger auf die Frage der handelnden Polizeibeamten vor Ort, ob es sich bei der Aktion um eine Versammlung handele, nicht reagiert hat.“ (6 K 2291/22)

Verfasst im Januar - für Contraste im März 2025
Mehrere Entwicklungen im Strafrechtsbereich lassen Schlimmes befürchten. So werden politisch Aktive mit immer höheren Strafen bedroht, in dem Strafnormen ausgeweitet oder bislang für schwere Verbrechen gedachte Paragraphen angewendet werden. Gleichzeitig werden Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt, begleitet davon, dass Richter*innen in Urteilen oder auf andere Weise Protest öffentlich delegitimieren oder diffamieren.

Waldbesetzung als kriminelle Vereinigung?
Im Dezember 2024 wurde in Freiburg die juristische Keule der kriminellen Vereinigung gegen Baumbesetzer*innen angewendet. Zunächst erfolgte das zwar „nur“ auf Ebene der Ermittlungen, verschafft diesen aber umfangreiche Überwachungs- und Durchsuchungsmöglichkeiten. Vor allem besteht die Gefahr massiver Einschüchterung, denn bei diesem Vorwurf können auch Unterstützer*innen, die nicht selbst Aktionen durchführen, in den Fokus von Repression gelangen. Mehr hier ...

Kampf gegen die Laienverteidigung geht weiter
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt in einem Verfahren gegen Verkehrswende-Aktivist*innen bestätigt, gleichzeitig allen sieben Verteidiger*innen ihre Zulassung nach § 138 Abs. 2 der Strafprozessordnung (sog. „Laienverteidigung“) zu entziehen. Die sieben Verteidiger*innen waren in der ersten Instanz dabei und hatten keinen Anlass zu Kritik geboten. Das Landgericht, welches bislang nicht beteiligt war, warf trotzdem alle sieben in einem gemeinsamen Beschluss und ohne konkrete Begründung aus dem Verfahren. Weder die Verteidiger*innen noch die Angeklagten waren dazu vorher angehört worden (Grundrechtsverstoß). Das OLG hat diese Willkür nun als rechtmäßig bezeichnet und dabei offen zugegeben, damit der bisher gelten Rechtsprechung zu widersprechen und durch den abweichenden Beschluss diese verändern zu wollen (3 Ws 473/24). Ein klarer Fall von Kompetenzüberschreitung und Amtsanmaßung.

Klassenjustiz bei Verleumdungsdelikten
Das ist mal ungewöhnlich eindeutig: Der (damals) für Versammlungs- und Verkehrsplanungssachen zuständige höchste Richter Hessens (Vorsitzender Richter im zuständigen Senat des Verwaltungsgerichtshofs), Harald Wack, zugleich aktiver FDP-Politiker, hatte 2023 zuerst Fahrradstraßen in Gießen per Gerichtsbeschluss verboten, danach auch eine Demo gegen sein Verbot der Verkehrswende. In einem Vortrag begründet er nun die Beschränkung der Versammlungsfreiheit damit, dass es sich bei den Demonstrierenden (vor allem Aktive von Fridays for Future) um „Politchaoten“ handele, denen es nicht um Klimaschutz gehe, sondern um die Zerstörung der herrschenden Ordnung. Die Aussage erfolgte in einer öffentlichen Versammlung vor der Presse, hochrangigen Politiker*innen und dem Landesjustizminister, was eine Strafverschärfung der Verleumdung bedeuten würde. Nach Strafanzeigen durch Betroffene bezeichnete der Richter seine Aussage als „neutral“, während die Staatsanwaltschaft Gießen ein Ermittlungsverfahren verweigert. Sie könne in den Formulierungen keine Schmähkritik oder falsche Tatsachenbehauptung erkennen. Die Worte wurden unter anderem in eine Sorge des Richters umgedeutet, dass wie die damals verbotene Mahnwache dem Klimaschutz schaden könnte. Bemerkenswert anders behandelt die Justiz Fälle, bei denen Angehörige gesellschaftlicher Oberschichten kritisiert werden. So führte die Bezeichnung „Protofaschist“ für den Bautzener Bürgermeister, von dessen ausländerfeindlichen Sprüchen sich selbst seine eigene Parteispitze distanzierte, zur Anklage. Der Vorwurf des Millionenbetrug gegen die VW-Führung steht aktuell in Dortmund vor Gericht.

Am Ende entscheidet das Bundesverfassungsgericht
In den beschriebenen Fällen sind Grundrechte betroffen, vor allem die Versammlungs- (Art. 8) und die Meinungsfreiheit (Art. 5). Ob die Beteiligten Verfassungsbeschwerden einreichen werden, ist offen. Damit diese erfolgreich sein können, ist die Einhaltung einiger Formvorschriften und Fristen wichtig. Zudem nützt das Verständnis, nach welchen Kriterien dieses höchste deutsche Gericht seine Entscheidungen trifft. Der Anwalt Christofer Lenz und der Richter Ronald Hansel haben einen 936 Seiten starken Kommentar zum „Bundesverfassungsgerichtsgesetz“ (2024, Nomos in Baden-Baden) verfasst, der in der vierten Auflage haargenau erklärt, wie das Bundesverfassungsgericht arbeitet, für was es zuständig ist, wie Verfassungsbeschwerden aussehen und dann abgearbeitet werden müssen. Wer eine Beschwerde einlegen will, findet konkrete Hilfestellungen, um die Erfolgsaussichten zu prüfen. Der Kommentar vermittelt zudem einen guten Überblick über bisherige Entscheidungen. Das wird kaum verhindern können, dass auch zukünftig die Mehrzahl der Verfassungsbeschwerden nicht angenommen wird und die Kriterien dafür meist unklar bleiben. Wenn es um die Macht von Richter*innen geht, ist das Verfassungsgericht meist auf deren Seite, während es bei Versammlungsfragen die Grundrechte gegenüber Einschränkungen durch Behörden oft stärkt.

bei Facebook teilen bei Twitter teilen

Kommentare

Bisher wurden noch keine Kommentare abgegeben.


Kommentar abgeben

Deine aktuelle Netzadresse: 216.73.216.184
Name
Kommentar
Smileys :-) ;-) :-o ;-( :-D 8-) :-O :-( (?) (!)
Anti-Spam